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[An Ottla Kafka: Postkarte]

[Stempel: Berlin-Steglitz - 16. 10. 23]
 


Liebste Ottla, bitte veranlasse, dass mir Geld geschickt wird, ich hatte nicht viel mit, die Mutter hatte damals keines, konnte mir nicht für Oktober vorausgeben, ich wußte ja auch nicht, wie lange ich bleibe, aber sie versprach mir vom 1. Oktober ab in jedem Brief kleinere Beträge zu schicken. Nun habe ich schon öfters darum gebeten, aber es kommt nichts, heute ist der 16te und ich habe für diesen Monat erst 70 K im Ganzen bekommen; sollte das Geld aus der Anstalt nicht gekommen sein oder sollte ein Geldbrief vielleicht doch verloren gegangen sein? Oder will man mich auf diese Weise zum Geldverdienen erziehn, aber dann hätte man mich nicht soviel Zeit verlieren lassen sollen. Gestern z. B. habenMöbelpacker einen rieseigen Flügel des früheren Mieters aus meinem Zimmer transportiert. Wenn es eine Möbelpackerschule gäbe, wo man aus jedem Menschen einen Möbelpacker machen kann, würde ich leidenschaftlich eintreten,

vorläufig habe ich die Schule noch nicht gefunden. - Die Butter kommt richtig an, heute auch das große von Klopstock vermittelte Paket. Aber man braucht auch anderes. So steht mir, fürchte ich eine große Ausgabe bevor, der Ankauf einer Petroleumlampe. In meinem Zimmer ist nur mir nicht genügendes Gaslicht und eine zu kleine Petroleumlampe.




das Geld aus der Anstalt: Vgl. Nr. 115 und 116.


Möbelpacker: Auch Dora Dymant erinnert sich, dass Kafka einmal "zwei Möbelträgern staunend, mit offenem Mund, bis zur Treppe folgte". (WB 226, Anm. 559) Vgl. auch Br 242.


der Ankauf einer Petroleumlampe: Die Anschaffung war vor allem notwendig geworden, weil Kafka mit der Wirtin wegen der hohen Gaskosten Streit bekam. (Vgl. J. P. Hodin, Erinnerungen an Franz Kafka, in: Der Monat 1 [1949], Nr. 8/9, S. 93) Man benützte die Lampe auch zum Kochen. (Vgl. FK 176, Br 461 und Nr. 116)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at