Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
Postkarte an die Eltern
14) Freitag) Liebste Eltern, das Paket ist in ausgezeichnetem
Zustand angekommen, nichts fehlt, nichts ist vergessen, die Hausschuhe
sind unvergleichlich wärmer als die früheren.
Wie viel mag die Versendung kosten und wie viel Mühe mag sie Euch
gemacht haben! Es war nicht dringend, aber es ist doch sehr angenehm, alles
zu haben, freilich ist heuer ein Herbst, so schön, wie er, glaube
ich, während meines ganzen Lebens nicht war, es wird wohl ein harter
Winter werden, ich bin in jeder Hinsicht gut für ihn vorbereitet.
- Päckchen XI ist gekommen, X noch nicht, das durch Frl.
Bugsch zu besorgende Päckchen soll Butter enthalten, das ist sehr
gut, aber Grahambrot? Ich schrieb doch öfters, dass ich hier
bis jetzt ein derart ausgezeichnetes Brot habe, wie ich es in Prag vergeblich
gesucht habe. Ach, Ihr scheint mir noch immer nicht ganz zu glauben. -
Das Geld von Hr. Gross bekomme ich heute; bitte keinen
Schek mehr schicken, nur Kc, ich erkläre es Ottla ausführlich
in einem Brief. - Wegen der Fürsorge-Konkurrenz brauchst Du Dich liebe
Mutter nicht zu sorgen, Du behältst Deinen Platz. Immerhin, was habe
ich in den letzten Tagen wieder bekommen? Eine Flasche ausgezeichneten
Rotweins, an der ich mit Vergnügen rieche, eine Riesenflasche hausgemachten
Himbeersaftes und 4 Teller. Nicht übel, wie?
Herzlichste Grüße
Euer F
Postkarte, 14 x 9 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben, einschließlich
der Adresse: Hermann Kafka, Prag, Staroměstské náměstí
č 6/III, Tschechoslowakei. Von Kafka mit der Ziffer 14 versehen;
Frankierung 36 Milliarden M. Über der Adresse der Zusatz Berlin
23/2 1924 (irrtümliche Datumsangabe), offensichtlich von der Hand
der Mutter.
Undatiert; Zuordnung anhand von Kafkas Angabe des Wochentages Freitag
und des Poststempels: 23. 11. 23, bestimmt.
1] wärmer als die früheren: Vgl. Nr. 3
und dazu Anm.8.
2] Frl. Bugsch: Fräulein Irene Bugsch - Tochter
von Alexander Bugsch, dem Mitinhaber des Sanatoriums in Matliary. Sie gehörte
wie ihre Schwester Margarete zum Freundeskreis Franz Kafkas und Robert
Klopstocks während beider Kuraufenthalt 1921 in der Tatra. Als "Frl.
Irene" erscheint sie in Kafkas Briefen an Klopstock nach seiner Abreise
aus Matliary im Herbst 1921. Mit sechsundzwanzig Jahren bewarb sie sich
damals um die Aufnahme an der kunsthandwerklichen Akademie in Dresden;
Kafka beschaffte ihr dazu die Empfehlungsschreiben, obwohl er von ihrem
Talent nicht überzeugt war. Schließlich wurde sie zu seiner
Verwunderung dennoch angenommen (Br, 354-357, 359, 363-364). Ende Januar
1924 besuchte sie Kafka in Berlin-Steglitz (Br, 474). In Wagenbachs Bildmonographie
findet sie sich auf zwei Gruppenfotos zusammen mit Kafka, mit ihrer Schwester
Margarete und weiteren Patienten aus Matliary (vgl. WB, 204).
3] Hr. Gross: Vgl. Nr. 2, Anm.3.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at