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Postkarte an die Eltern

[Berlin-Steglitz, 23. November 1923]
 


14) Freitag)    Liebste Eltern, das Paket ist in ausgezeichnetem Zustand angekommen, nichts fehlt, nichts ist vergessen, die Hausschuhe sind unvergleichlich wärmer als die früheren. Wie viel mag die Versendung kosten und wie viel Mühe mag sie Euch gemacht haben! Es war nicht dringend, aber es ist doch sehr angenehm, alles zu haben, freilich ist heuer ein Herbst, so schön, wie er, glaube ich, während meines ganzen Lebens nicht war, es wird wohl ein harter Winter werden, ich bin in jeder Hinsicht gut für ihn vorbereitet. - Päckchen XI ist gekommen, X noch nicht, das durch Frl. Bugsch zu besorgende Päckchen soll Butter enthalten, das ist sehr gut, aber Grahambrot? Ich schrieb doch öfters, dass ich hier bis jetzt ein derart ausgezeichnetes Brot habe, wie ich es in Prag vergeblich gesucht habe. Ach, Ihr scheint mir noch immer nicht ganz zu glauben. - Das Geld von Hr. Gross bekomme ich heute; bitte keinen Schek mehr schicken, nur Kc, ich erkläre es Ottla ausführlich in einem Brief. - Wegen der Fürsorge-Konkurrenz brauchst Du Dich liebe Mutter nicht zu sorgen, Du behältst Deinen Platz. Immerhin, was habe ich in den letzten Tagen wieder bekommen? Eine Flasche ausgezeichneten Rotweins, an der ich mit Vergnügen rieche, eine Riesenflasche hausgemachten Himbeersaftes und 4 Teller. Nicht übel, wie?

Herzlichste Grüße         Euer F




Postkarte, 14 x 9 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben, einschließlich der Adresse: Hermann Kafka, Prag, Staroměstské náměstí č 6/III, Tschechoslowakei. Von Kafka mit der Ziffer 14 versehen; Frankierung 36 Milliarden M. Über der Adresse der Zusatz Berlin 23/2 1924 (irrtümliche Datumsangabe), offensichtlich von der Hand der Mutter.

Undatiert; Zuordnung anhand von Kafkas Angabe des Wochentages Freitag und des Poststempels: 23. 11. 23, bestimmt.


1] wärmer als die früheren: Vgl. Nr. 3 und dazu Anm.8.


2] Frl. Bugsch: Fräulein Irene Bugsch - Tochter von Alexander Bugsch, dem Mitinhaber des Sanatoriums in Matliary. Sie gehörte wie ihre Schwester Margarete zum Freundeskreis Franz Kafkas und Robert Klopstocks während beider Kuraufenthalt 1921 in der Tatra. Als "Frl. Irene" erscheint sie in Kafkas Briefen an Klopstock nach seiner Abreise aus Matliary im Herbst 1921. Mit sechsundzwanzig Jahren bewarb sie sich damals um die Aufnahme an der kunsthandwerklichen Akademie in Dresden; Kafka beschaffte ihr dazu die Empfehlungsschreiben, obwohl er von ihrem Talent nicht überzeugt war. Schließlich wurde sie zu seiner Verwunderung dennoch angenommen (Br, 354-357, 359, 363-364). Ende Januar 1924 besuchte sie Kafka in Berlin-Steglitz (Br, 474). In Wagenbachs Bildmonographie findet sie sich auf zwei Gruppenfotos zusammen mit Kafka, mit ihrer Schwester Margarete und weiteren Patienten aus Matliary (vgl. WB, 204).


3] Hr. Gross: Vgl. Nr. 2, Anm.3.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at