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[An die Eltern]
12) Dienstag) Liebste Eltern, diesmal war es eine besondere Freude,
Euere beiden Briefe und vor allem des l.[ieben] Vaters Mitteilung über
seine Gesundheit. Schade, dass ich nicht genug Marken habe um Euch
ausführlich zu antworten, vielleicht nächstens. Ab 1. kommt übrigens
der wertbeständige Tarif, dann wird man keine Markensorgen
mehr haben, allerdings wird es dann so teuer sein, dass man aus dem
Grund nicht wird schreiben können. - Die Wohnung ist so schön,
dass ich fürchte, ich werde sie aus dem oder jenem
Grunde bald verlieren. Freilich teuer ist sie. - Das Paket ist heute
angekommen, morgen werde ich es mir holen lassen.Hat es viel gekostet?
- Bei den gegenwärtigen Verhältnissen ist es am besten Kc zu
schicken, keinesfalls Dollars. Warum denn? Dann würde man ja bei dem
zweimaligen Wechseln nur Geld verlieren. - Päckchen
X ist noch nicht gekommen, es geschieht mir ganz recht, am Anfang des Monats,
als ich Butter-Überfülle hatte, habe ich auf Butter statt auf
Margarine kochen lassen. Übrigens habe ich gestern recht gute Butter
zu kaufen bekommen. - Deine Frage lieber Vater, ob ich hier "für später
eine Zukunft habe", ist sehr heikel. Für die Möglichkeit eines
Geldverdienens besteht bis jetzt nicht die leiseste Andeutung für
mich. Freilich behandle ich mich hier wie einen Kranken im Sanatorium.
Freilich kann ich auch nicht gut in der Stadt wohnen, besonders jetzt da
ich durch Steglitzer Luft verwöhnt bin und täglich bei jedem
Wetter hineinfahren könnte ich auch nicht gut. Ich habe früher
einmal eine Wohnung in der Stadt nehmen sollen, aber schließlich
trat ich zurück.
Postkarte, 14 x 9 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben, einschließlich
der Adresse: Hermann Kafka, Prag, Staroměstské náměstí
č 6/III, Tschechoslowakei. Von Kafka mit der Ziffer 12
versehen. Frankierung 36 Milliarden M. Über der Adresse der Zusatz
20/11 1923, offensichtlich von der Hand der Mutter.
Undatiert; Zuordnung anhand von Kafkas Angabe des Wochentages Dienstag
und des Poststempels: 20. 11.23, bestimmt.
1] der wertbeständige Tarif: Am 1. Dezember
1923 wurden in Deutschland Briefmarken ohne Währungsbezeichnung ausgegeben
(sie waren bis 31. Januar 1928 gültig).
2] aus dem oder jenem Grunde bald verlieren: Vgl.
Nr.3, Anm. 6. Der fast übereinstimmende Text in dem Brief an Milena
"aus der zweiten Novemberhälfte 1923" (M, 320) ermöglicht
die Datierung des Briefes an Milena nahe dem 20. November.
3] Geld verlieren: Vgl. Nr. 2, Anm. 2-3.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at