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An Else Bergmann

[Müritz, Juli 1923]
 

Liebe, liebe Frau Else,

nicht nur die Schwierigkeit, den alle paar Tage wechselnden Postetarif zu erfahren, verzögert den Brief. Ich weiß, dass ich jetzt ganz gewiß nicht fahren werde - wie könnte ich denn fahren - aber dass mit Ihrem Brief förmlich das Schiff an der Schwelle meines Zimmers anlegt und Sie dort stehen und mich fragen und mich so fragen, das ist nichts Geringes. Übrigens sagen Sie selbst - unbegreiflich nahe mit der abseitigen Sache beschäftigt - zum Teil die Antwort auf Ihre Frage. Es wäre, vorausgesetzt, dass etwas derartiges überhaupt für mich durchführbar wäre, keine eigentliche Palästinafahrt jetzt geworden, ganz und gar nicht - dazu, was es geworden wäre, kann ich jetzt nicht kommen, denn eben kommt Ihr Einschreibebrief in der dummen, dummen Sache. Erstens: hätte ich gewußt, dass das Buch überhaupt irgendeinen Wert für Sie hat, wäre mir nicht eingefallen, darum zu schreiben und ich wäre einfach stolz und froh gewesen, dass es mit Ihnen nach Palästina schwimmt. Zweitens: Das Buch wäre mir gar nicht eingefallen, wenn es hier, wo ich ein wenig in gärtnerischer Atmosphäre bin, nicht mit besonderem Lob erwähnt worden wäre. Drittens: wie es die Mutter auch gemacht haben mag - so wie ich wollte, leider gewiß nicht, was daran schlecht war, war gewiß nicht gegen Sie persönlich gerichtet, bitte glauben Sie es, sondern gegen die "palästinensische Gefahr". Und damit verlassen wir diese Sache, allerdings nicht ohne die Bitte, dass Sie dem Buch, wenn Sie es benützen, die Freude ansehen, mit der es Ihnen im Namen seines früheren Besitzers dient, trotzdem Sie es ihm wahr und wahrhaftig abgekauft haben. - Also zurück: es wäre keine Palästinafahrt geworden, sondern im geistigen Sinne etwas wie eine Amerikafahrt eines Kassierers, der viel Geld veruntreut hat, und dass die Fahrt mit Ihnen gemacht worden wäre, hätte die geistige Kriminalität des Falles noch sehr erhöht. Nein, so hätte ich nicht fahren dürfen, selbst wenn ich es hätte können - wiederhole ich, und: "alle Plätze sind schon vergeben" fügen Sie hinzu. Und wieder fängt die Lockung an und wieder antwortet die absolute Unmöglichkeit und so ist es, wie traurig es auch ist, letzten Endes doch sehr recht. Und die Hoffnung bleibt für später und Sie sind gut und stören sie nicht.

Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gut

Ihr K.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at