| Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
[Postkarte. Schelesen. Stempel: Berlin-Steglitz, 2.10.23; Ankunftstempel; Praha-Hrad, 4.10.23]
[An: ] Martin Salvat Praha-Hrad poste restante Tschechoslowakei
[Abs.: ] Dr Kafka bei Moritz Hermann Berlin-Steglitz Miquelstraße 8
Lieber Max, eben warte ich auf Emmy, wir wollen einen kleinen Vormittagsspaziergang machen in dieser schönen Gegend. Sonntag nachmittag war ich bei ihr, machte wieder einige schwere Fehler, schäme mich schon, immer das Gleiche zu wiederholen. Hauptgrund freilich ist, dass ich, wenn ich dort unten etwa am Zoo aussteige, einen großen Teil der Atemfähigkeit verliere, zu husten anfange, noch ängstlicher werde als sonst, alle Drohungen dieser Stadt sich gegen mich vereinigen sehe. Auch suche ich mich hier draußen gegen die wirklichen Qualen der Preise zu schützen, man hilft mir darin sehr, in der Stadt versagt das, gestern z. B. hatte ich einen starken Anfall des Zahlenwahns und ich verstehe viel besser Deine Sorgen, Du armer lieber unermüdlicher, unerschütterlicher Kopf. Mein Zimmer das mit 28 K monatlich gemietet war kostete im September schon über 70 K, im Oktober wird es zumindest 180 K kosten. Ich verstehe auch gut, dass E. Trost braucht, aber in ihrem Zimmer schien sie mir mutiger, kräftiger und, über Deine "letzte Rose" gebeugt, glücklich. - Übrigens kam sie heute nicht, hat abtelephoniert, kommt morgen, ist sehr lieb. - Inzwischen habe ich, was ich bis jetzt schon tagelang vermieden habe, den Steglitzer Anzeiger durchgesehn. Schlimm, schlimm. Es liegt aber Gerechtigkeit darin, mit dem Schicksal Deutschlands zusammenzuhängen, wie Du und ich.
Nebenbei: Du hast leider auf die Mutter nicht beruhigend gewirkt.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at