Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Franz Werfel
Lieber Werfel, nach meiner Aufführung bei Ihrem letzten Besuch konnten
Sie nicht wieder kommen, das wußte ich ja. Und ich hätte Ihnen
gewiß schon geschrieben, wenn mir nicht das Brief-Schreiben allmählich
so schwer würde wie das Reden und wenn nicht sogar das Brief-Wegschicken
Schwierigkeiten machen würde, denn einen Brief hatte ich für
Sie schon fertig. Es ist aber unnütz, alte Dinge wieder aufzunehmen;
wohin käme man, wenn man niemals davon ablassen würde, alle seine
alten Kläglichkeiten immer wieder zu verteidigen und zu entschuldigen.
Nur dieses, Werfel, was Sie ja wohl auch selbst wissen müssen: Wenn
es sich um ein gewöhnliches Milifallen gehandelt hätte, dann
wäre es doch vielleicht leichter zu formulieren gewesen und wäre
dann überdies so belanglos gewesen, dass ich darüber ganz
gut hätte schweigen können. Es war aber Entsetzen und das zu
begründen ist schwer, man sieht verstockt und zäh und widerhaarig
aus, wo man nur unglücklich ist. Sie sind gewiß ein Führer
der Generation, was keine Schmeichelei ist und niemandem gegenüber
als Schmeichelei verwendet werden könnte, denn diese Gesellschaft
in den Sümpfen kann mancher führen. Darum sind Sie auch nicht
nur Führer, sondern mehr (Sie haben Ähnliches selbst in dem schönen
Vorwort zu Brands Nachlaß gesagt, schön bis auf das Wort von
dem "freudig Lug-Gewillten") und man verfolgt mit wilder Spannung
Ihren Weg. Und nun dieses Stück. Es mag alle Vorzüge haben, von
den theatralischen bis zu den höchsten, es ist aber ein Zurückweichen
von der Führerschaft, nicht einmal Führerschaft ist darin, eher
ein Verrat an der Generation, eine Verschleierung, eine Anekdotisierung,
also eine Entwürdigung ihrer Leiden.
Aber nun schwätze ich wieder, wie damals und das Entscheidende zu
denken und zu sagen bin ich unfähig. Bleibe es dabei. Wäre nicht
meine Teilnahme, meine höchst eigennützige Teilnahme an Ihnen
so groß, ich würde nicht einmal schwätzen.
Und nun die Einladung; hat man sie als Dokument in der Hand, bekommt sie
ein noch großartigeres wirklicheres Aussehn. Hindernisse sind die
Krankheit, der Arzt (den Semmering lehnt er wieder unbedingt ab, Venedig
im Vorfrühling nicht unbedingt) und wohl auch das Geld (ich müßte
mit tausend Kronen monatlich auskommen können), aber das Haupthindernis
sind sie gar nicht. Von dem Ausgestrecktsein im Prager Bett zu dem aufrechten
Herumgehn auf dem Markusplatz ist es so weit, dass es nur die Phantasie
knapp überwindet, aber das sind ja erst die Allgemeinheiten, darüber
hinaus etwa die Vorstellung zu erzeugen, dass ich z.B. in Venedig
in Gesellschaft mittagesse (ich kann nur allein essen), das verweigert
sogar die Phantasie. Aber immerhin, ich halte die Einladung fest und danke
Ihnen vielmals.
Vielleicht sehe ich Sie im Jänner. Leben Sie wohl!
Ihr Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at