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An Oskar Baum

21. 9.1922
 

Lieber Oskar, Dank für Deinen Brief, den ich über Planá (ich bin schon seit Montag in Prag) bekommen habe, ich fürchtete sehr, dass Du mir böse bist, und fürchte es noch, denn wie kann man gegenüber einer solchen Aufführung gut bleiben, es wäre denn, dass man angestrengt bedenkt, um wie viel näher ich diese schreckliche Aufführung am Leibe habe. Ich komme in den allernächsten Tagen; in Planá ging es mir, mit einigen zählbaren Unterbrechungen, recht gut, erst zum Schluß war ich fast froh, dass ich wegfuhr. Was gäbe es Schöneres, als den Winter dort zu bleiben, für die Schlafhelden, dazu gehöre ich nicht, ich würde es dort nicht ertragen zwischen den freigelassenen Naturgeistern, und Du, von der Musiksaison gehalten, wärst bestenfalls für ein paar Tage gekommen. Glücklich Leo! Gepriesen seine Eltern! So wachsen und gesund und kräftig und geschickt und körperlich erfahren werden und dabei von der Mädchenüberzahl angeschaut werden, welche die Entwicklung durch ihr Anschauen lockt und leitet! Borg Dir von Max "Schwermut der Jahreszeiten" von Speyer aus, wo ein Schulgut beschrieben ist. Demgegenüber möchte man sich, dessen Erziehung im Grunde genommen sich vollständig im einsamen, überkalten oder überheißen Knabenbett vollzogen hat, sagen: "Ich bin verflucht". Es stimmt nicht ganz, aber man bekommt Lust es zu sagen.

Herzliche Grüße Dir, der Frau und Schwester.

Dein F


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at