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An Felix Weltsch

[Planá, Anfang Juli 1922]
 

Lieber Felix, was Du über meinen Lärm sagst, ist fast richtig, allerdings habe ich die Meinung von Dir übernommen und sie ist eine meiner paar Hilfskonstruktionen geworden, eines jener verhältnismäßig ungeheueren Gerüste, mit welchen ich an meinem elenden Verschlag arbeite, dass infolge der Dichte der Welt jeder überwundene Lärm von einem neuen erst zu überwindenden in unendlicher Reihe abgelöst wird. Nun ist das aber nur fast richtig und damit auf das was Du anführst, antworten zu wollen, wäre Unsinn oder Gemeinheit, vielmehr ist dieser Lärm - nicht in der Art der Beschreibung liegt das, sondern in der Tatsache - gleichzeitig ein schreiender Vorwurf für alle, denen an Dir gelegen ist, die sich hier schwach und hilflos zeigen und sehenden Auges eine Verantwortung scheuen, dafür aber und dadurch eine noch schwerere auf sich nehmen. Der Lärin hat auch etwas Fascinierend-Betäubendes; wenn ich - ich habe glücklicherweise manchmal zwei Zimmer zur Auswahl - in dem einen Zimmer sitze und, so wie Du es auch beklagst, einer Säge gegenüber sitze, die zeitweise erträglich ist, dann aber, wenn sie die Kreissäge arbeiten läßt, in der letzten Zeit geschieht das fortwährend, einen das Leben zu verfluchen zwingt, wenn ich dann in diesem Unglückszimmer sitze, kann ich nicht fort, ich kann zwar ins Nebenzimmer gehn und muß es auch, denn es ist nicht auszuhalten, aber übersiedeln kann ich nicht, nur hin und her gehn und etwa in dem zweiten Zimmer feststellen, dass auch dort Unruhe ist und vor dem Fenster Kinder spielen. So ist die Lage. Immerfort hoffe ich, dass, wie es einmal schon geschehen ist, die Kreissäge plötzlich zu arbeiten aufhören wird, ich kenne flüchtig den dortigen Buchhalter, sogar das gibt mir einige Hoffnung, er weiß zwar nicht, dass mich seine Kreissäge stört und kümmert sich auch sonst nicht um mich und ist überhaupt ein verschlossener Mensch und wenn er auch der offenste Mensch wäre, er könnte die Kreissäge nicht einstellen, wenn Arbeit für sie ist, aber ich schaue verzweifelt aus dem Fenster und denke doch an ihn. Oder ich denke an Mahler, dessen Sommerleben irgendwo beschrieben war, wie er täglich um halb sechs, er war damals sehr gesund und schlief ausgezeichnet, im Freien badete und dann in den Wald lief, wo er eine "Komponier-Hütte" hatte (das Frühstück war dort schon vorbereitet) und bis ein Uhr mittag dort arbeitete und die Bäume, die später in der Säge so viel Lärm machen, in Mengen still und lärmabwehrend um ihn standen. (Nachmittag schlief er dann und erst von vier Uhr ab lebte er mit seiner Familie und nur selten hatte seine Frau das Glück, dass er abend etwas von seiner Morgenarbeit verriet.) Aber ich wollte von der Säge erzählen. Ich allein komme von ihr nicht los, es muß die Schwester kommen und unter unglaublichen Bequemlichkeitsopfern ihrerseits das andere Zimmer mir einräumen (das allerdings auch keine Komponierhütte ist, aber davon will ich jetzt nicht sprechen), nun bin ich für eine Zeit die Säge los. So müßte man Dich auch einmal in ein stilles Zimmer hinüberführen.

Der erste Eindruck Deines Briefes war prachtvoll, ich drehte ihn zuerst in der Hand, froh ihn zu haben und im flüchtigen Darüberhinschauen sah ich nur zwei Stellen, an der einen Stelle stand etwas von Ethik, an der andern "Ruthchen ist wunderbar", da war ich natürlich sehr zufrieden. Freilich habe ich auch noch andere Briefe von Dir, etwa den über den Elternabend (besonders schön) oder den über Rathenau (hast Du das Feuilleton von H. über Rathenau gelesen?, eine erstaunliche Geschmacklosigkeit des sonst so Unfehlbaren, diese Ironie, mit der ein Gesuchsteller seinen ermordeten Wohltäter behandelt, unwillkürlich hat man den Eindruck, dieser Berichterstatter, der über einen Toten so ebenbürtig ironisch spricht, müsse wenigstens zum Teil selbst tot sein. Dabei zur Krönung des Ganzen ist es ja Selbstironie, denn wenn H. erwartet hat, dass Rathenau sagen wird: "Wir Rathenaus sind Arbeitspferde", so habe ich ebenso fest vertraut, dass H. noch irgendwo schreiben wird: "Ich armer Hund von Subredakteur." Dabei will ich H. nicht weh tun, ich hätte es gewiß in gleichem Sinn und viel schlechter geschrieben, ich hätte es nur nicht veröffentlicht, vielleicht aber nur deshalb, weil es eben viel schlechter geschrieben gewesen wäre).

Ich hätte noch einiges zu sagen und zu fragen im Zusammenhang damit, dass ich - denke! - aus "Angst" nicht nach Deutschland fahre, trotzdem ich Oskar gebeten habe, mir ein Zimmer dort zu besorgen und er das lieb und vorzüglich gemacht hat. Es ist nicht Angst vor der Reise, schlimmer, es ist allgemeine Angst.

Herzliche Grüße, ohnmächtige Wünsche, Grüße für Frau und Kind.

Dein F


(Grüße von Ottla)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at