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An Felix Weltsch
Lieber Felix, was Du über meinen Lärm sagst, ist fast richtig,
allerdings habe ich die Meinung von Dir übernommen und sie ist eine
meiner paar Hilfskonstruktionen geworden, eines jener verhältnismäßig
ungeheueren Gerüste, mit welchen ich an meinem elenden Verschlag arbeite,
dass infolge der Dichte der Welt jeder überwundene Lärm
von einem neuen erst zu überwindenden in unendlicher Reihe abgelöst
wird. Nun ist das aber nur fast richtig und damit auf das was Du anführst,
antworten zu wollen, wäre Unsinn oder Gemeinheit, vielmehr ist dieser
Lärm - nicht in der Art der Beschreibung liegt das, sondern in der
Tatsache - gleichzeitig ein schreiender Vorwurf für alle, denen an
Dir gelegen ist, die sich hier schwach und hilflos zeigen und sehenden
Auges eine Verantwortung scheuen, dafür aber und dadurch eine noch
schwerere auf sich nehmen. Der Lärin hat auch etwas Fascinierend-Betäubendes;
wenn ich - ich habe glücklicherweise manchmal zwei Zimmer zur Auswahl
- in dem einen Zimmer sitze und, so wie Du es auch beklagst, einer Säge
gegenüber sitze, die zeitweise erträglich ist, dann aber, wenn
sie die Kreissäge arbeiten läßt, in der letzten Zeit geschieht
das fortwährend, einen das Leben zu verfluchen zwingt, wenn ich dann
in diesem Unglückszimmer sitze, kann ich nicht fort, ich kann zwar
ins Nebenzimmer gehn und muß es auch, denn es ist nicht auszuhalten,
aber übersiedeln kann ich nicht, nur hin und her gehn und etwa in
dem zweiten Zimmer feststellen, dass auch dort Unruhe ist und vor
dem Fenster Kinder spielen. So ist die Lage. Immerfort hoffe ich, dass,
wie es einmal schon geschehen ist, die Kreissäge plötzlich zu
arbeiten aufhören wird, ich kenne flüchtig den dortigen Buchhalter,
sogar das gibt mir einige Hoffnung, er weiß zwar nicht, dass
mich seine Kreissäge stört und kümmert sich auch sonst nicht
um mich und ist überhaupt ein verschlossener Mensch und wenn er auch
der offenste Mensch wäre, er könnte die Kreissäge nicht
einstellen, wenn Arbeit für sie ist, aber ich schaue verzweifelt aus
dem Fenster und denke doch an ihn. Oder ich denke an Mahler, dessen Sommerleben
irgendwo beschrieben war, wie er täglich um halb sechs, er war damals
sehr gesund und schlief ausgezeichnet, im Freien badete und dann in den
Wald lief, wo er eine "Komponier-Hütte" hatte (das Frühstück
war dort schon vorbereitet) und bis ein Uhr mittag dort arbeitete und die
Bäume, die später in der Säge so viel Lärm machen,
in Mengen still und lärmabwehrend um ihn standen. (Nachmittag schlief
er dann und erst von vier Uhr ab lebte er mit seiner Familie und nur selten
hatte seine Frau das Glück, dass er abend etwas von seiner Morgenarbeit
verriet.) Aber ich wollte von der Säge erzählen. Ich allein komme
von ihr nicht los, es muß die Schwester kommen und unter unglaublichen
Bequemlichkeitsopfern ihrerseits das andere Zimmer mir einräumen (das
allerdings auch keine Komponierhütte ist, aber davon will ich jetzt
nicht sprechen), nun bin ich für eine Zeit die Säge los. So müßte
man Dich auch einmal in ein stilles Zimmer hinüberführen.
Der erste Eindruck Deines Briefes war prachtvoll, ich drehte ihn zuerst
in der Hand, froh ihn zu haben und im flüchtigen Darüberhinschauen
sah ich nur zwei Stellen, an der einen Stelle stand etwas von Ethik, an
der andern "Ruthchen ist wunderbar", da war ich natürlich
sehr zufrieden. Freilich habe ich auch noch andere Briefe von Dir, etwa
den über den Elternabend (besonders schön) oder den über
Rathenau (hast Du das Feuilleton von H. über Rathenau gelesen?, eine
erstaunliche Geschmacklosigkeit des sonst so Unfehlbaren, diese Ironie,
mit der ein Gesuchsteller seinen ermordeten Wohltäter behandelt, unwillkürlich
hat man den Eindruck, dieser Berichterstatter, der über einen Toten
so ebenbürtig ironisch spricht, müsse wenigstens zum Teil selbst
tot sein. Dabei zur Krönung des Ganzen ist es ja Selbstironie, denn
wenn H. erwartet hat, dass Rathenau sagen wird: "Wir Rathenaus
sind Arbeitspferde", so habe ich ebenso fest vertraut, dass
H. noch irgendwo schreiben wird: "Ich armer Hund von Subredakteur."
Dabei will ich H. nicht weh tun, ich hätte es gewiß in gleichem
Sinn und viel schlechter geschrieben, ich hätte es nur nicht veröffentlicht,
vielleicht aber nur deshalb, weil es eben viel schlechter geschrieben gewesen
wäre).
Ich hätte noch einiges zu sagen und zu fragen im Zusammenhang damit,
dass ich - denke! - aus "Angst" nicht nach Deutschland
fahre, trotzdem ich Oskar gebeten habe, mir ein Zimmer dort zu besorgen
und er das lieb und vorzüglich gemacht hat. Es ist nicht Angst vor
der Reise, schlimmer, es ist allgemeine Angst.
Herzliche Grüße, ohnmächtige Wünsche, Grüße
für Frau und Kind.
Dein F
(Grüße von Ottla)
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at