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An Oskar Baum

[Planá, 5. Juli 1922]
 

Lieber Oskar, der inliegende Brief ist gestern am 4. Juli gleich nach Erhalt Deines Briefes geschrieben worden. Er war in beider Hinsicht gegenüber der Wirklichkeit gedämpft, sowohl hinsichtlich der Freude nach Georgental zu kommen, als auch hinsichtlich der Angst, die zwei Dinge widersprechen einander zu sehr, wollte man sie in einen Brief bringen, mußte man sie dämpfen. Ich traf dann Ottla, als ich mit dem Brief zur Post ging. Sie riet mir, das Datum der Ankunft lieber bestimmt festzusetzen, das leuchtete mir ein; da ich keinen Bleistift mithatte, nahm ich wieder den Brief nach Hause mit. Aufgeregt war ich allerdings immerfort, dann kam die Nacht, wie ich gefürchtet hatte, gänzlich schlaflos, die erste in Planá. Bis zum Fünfzehnten sind noch etwa zehn Nächte, und selbst wenn ich gleich fahren wollte, wären es doch drei oder vier, das könnte ich nicht aushalten, ich kann also nicht fahren. So wie es da steht, ist es freilich gänzlich unverständlich. Ich habe heute Max schon eine Abhandlung darüber geschrieben - noch ehe ich wußte, ob ich Dir telegraphiere -, damit will ich Dich verschonen, nicht zu alledem, was ich Dir Leids antue, auch noch dies, es geht auch nicht gut, es hier auszubreiten. Qualitativ ähnliches habe ich ja schon an mir erlebt, quantitativ noch nicht, es ist auch für mich eine schreckliche Steigerung und bedeutet zum Beispiel, dass ich aus Böhmen nicht mehr hinausfahren darf, morgen kann eine neue, übermorgen eine weitere, in einer Woche eine letzte Einschränkung kommen. Denkt daran und Ihr werdet mir vielleicht verzeihen können. Es wäre mir eine Beruhigung, wenn Frau Horn mir ein Strafgeld festsetzen würde, das ich sogleich schicken würde.

Lebt wohl!

Euer F


Ich telegraphiere Euch heute: Kann leider überhaupt nicht kommen Brief folgt.

Ottla sucht die Angst zum Teil (mehr wagt auch sie nicht) durch körperliche Schwäche zu erklären, eine sehr milde Erklärung, wenn man bedenkt, dass ich voriges Jahr vielleicht noch schwächer war und doch in die häßliche Tatra fuhr (aus der ich mich dann allerdings auch nicht losmachen konnte) und dass auch die körperliche Schwäche, die ja vorhanden ist, auf eine geistige zurückgeht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at