Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Oskar Baum
Lieber Oskar, der inliegende Brief ist gestern am 4. Juli gleich nach Erhalt
Deines Briefes geschrieben worden. Er war in beider Hinsicht gegenüber
der Wirklichkeit gedämpft, sowohl hinsichtlich der Freude nach Georgental
zu kommen, als auch hinsichtlich der Angst, die zwei Dinge widersprechen
einander zu sehr, wollte man sie in einen Brief bringen, mußte man
sie dämpfen. Ich traf dann Ottla, als ich mit dem Brief zur Post ging.
Sie riet mir, das Datum der Ankunft lieber bestimmt festzusetzen, das leuchtete
mir ein; da ich keinen Bleistift mithatte, nahm ich wieder den Brief nach
Hause mit. Aufgeregt war ich allerdings immerfort, dann kam die Nacht,
wie ich gefürchtet hatte, gänzlich schlaflos, die erste in Planá.
Bis zum Fünfzehnten sind noch etwa zehn Nächte, und selbst wenn
ich gleich fahren wollte, wären es doch drei oder vier, das könnte
ich nicht aushalten, ich kann also nicht fahren. So wie es da steht, ist
es freilich gänzlich unverständlich. Ich habe heute Max schon
eine Abhandlung darüber geschrieben - noch ehe ich wußte, ob
ich Dir telegraphiere -, damit will ich Dich verschonen, nicht zu alledem,
was ich Dir Leids antue, auch noch dies, es geht auch nicht gut, es hier
auszubreiten. Qualitativ ähnliches habe ich ja schon an mir erlebt,
quantitativ noch nicht, es ist auch für mich eine schreckliche Steigerung
und bedeutet zum Beispiel, dass ich aus Böhmen nicht mehr hinausfahren
darf, morgen kann eine neue, übermorgen eine weitere, in einer Woche
eine letzte Einschränkung kommen. Denkt daran und Ihr werdet mir vielleicht
verzeihen können. Es wäre mir eine Beruhigung, wenn Frau Horn
mir ein Strafgeld festsetzen würde, das ich sogleich schicken würde.
Lebt wohl!
Euer F
Ich telegraphiere Euch heute: Kann leider überhaupt nicht kommen Brief
folgt.
Ottla sucht die Angst zum Teil (mehr wagt auch sie nicht) durch körperliche
Schwäche zu erklären, eine sehr milde Erklärung, wenn man
bedenkt, dass ich voriges Jahr vielleicht noch schwächer war
und doch in die häßliche Tatra fuhr (aus der ich mich dann allerdings
auch nicht losmachen konnte) und dass auch die körperliche Schwäche,
die ja vorhanden ist, auf eine geistige zurückgeht.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at