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Max Brod an Franz Kafka

[ Prag ]

Sonntag [9. 7.1922]
 


Liebster Franz - ich kann (beim besten Willen) deinen Fall nicht so verzweifelt finden. - Da es dir in Planá gefällt, bleibst du eben.

Niemand wechselt gern die Sommerwohnung; denn gerade da, wo man Erholung sucht, fürchtet man naturgemäß, dass man es nicht gut treffen wird. Hat man es nun gut getroffen wie du, so bleibt man. - Was dich drückt, ist 1.) das Baum gegebene Versprechen - aber Baum wird verstehen. 2.) die willkürliche Folgerung, die du ziehst, nämlich: dass mit dieser Reise alle Reisen der Zukunft verschwinden. Da ist natürlich ein Eckchen Wahnsinn, Selbstquälerei mit im Spiel. Aber man reist ja zu so verschiedenen Zwecken! Jetzt wäre es eine Erholungsreise mit unsicherer Erholung und bei Aufgabe einer sicheren Erholung; das ist schwer. Wenn ich dich aber bitten werde, im Herbst meine Klarissa-Première in Berlin zu sehen, so kommst du bestimmt mit, nichtwahr?

    Deine Bemerkungen über den Schriftsteller - nun, wir beide gehören, obwohl wir Freunde sind, zu verschiedenen Sorten, offenbar. Du tröstest dich im Schreiben über irgendein Negativum, mag es nun real oder eingebildet sein, jedenfalls über ein von dir gefühltes Negativum des Lebens. Du kannst also im Unglück doch wenigstens schreiben. Bei mir hängt Glück und Schreiben an demselben Faden. Reißt der (o wie schwach ist er!), so bin ich elend. Aber in diesem Zustand möchte ich mich eher erwürgen können als schreiben. Du wirst sagen: Schreiben sei deine Methode, dich zu erwürgen u.s.f. - Aber es ist doch kein Parallelismus. Denn gerade diese Würgemethode kenne ich dann nicht. Und schreiben kann ich nur, wenn ich in einem großen seelischen Gleichgewicht bin. Dieses Gleichgewicht ist freilich nie so groß, dass Schreiben mir entbehrlich wäre. Hier berühren wir einander. - Nichtjüdische Autoren wie Ady machten in solchen Fällen vom Alkohol Gebrauch dh. um entweder so glücklich oder so unglücklich zu werden, als jeder einzelne für sein Schreiben benötigte. Uns Juden fehlt, scheint's, dieses Regulativ.

    Eben ist ein neuer Kierkegaardband eingelangt "Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller". - Sein Alkohol war: die Vorsehung. Sogar seine Beinkleider waren nicht etwa von Eitelkeit, sondern von der Vorsehung bestimmt.

    Mir geht es seit gestern etwas besser. - Doch hatte ich eine Nacht, in der ich dem Wahnsinn näher war als je. Ich spürte direkt das Krampfartige des Seelenschmerzes. Er steigt, - nun geht es nicht weiter, langsam senkt er sich. - Ein obszönes Gleichnis fällt mir ein: die Krampfanfälle bei Bauchreißen, während eines Spazierganges, - dazwischen ruhigere Pausen - dann wieder Krampf, den man vielleicht aushält, vielleicht nicht mehr - im ersteren Fall Abebben, im zweiten ist das Malheur fertig. [drei Worte unleserlich gemacht:] man wird wahnsinnig. - Ich kann mir das ganz genau vorstellen.

    Am nächsten Morgen kam dann Brief, Telegramm. - Ich habe mir vorgenommen, diese Beziehung zu M. zu "verbalisieren". Das einzige Mittel, um wenigstens die drei Wochen bis Misdroy auszuhalten. - Ich stelle mir also etwa vor, in welcher Hinsicht diese Beziehung fest ist, -weil M. mich braucht, weil sie sich speziell auf Misdroy freut u.s.f. Alles andere betrachte ich (provisorisch) für verloren. Wahrscheinlich tue ich ihr Unrecht damit. Aber für mich sehe ich keine andere Rettung, vorläufig wenigstens. - Im Detail wäre da natürlich Unendliches zu berichten.

    Etwas hilft mir die Lektüre alter Tagebücher, die ich aus dem Büro nach Hause gebracht habe, so lange E. weg ist. - Eine höchst grauenvolle Lektüre. Die Leiden darin: wie echt! Das Glück, so selten es auftritt, klingt geziert, gewollt. - Der furchtbare Krieg, Adas Tod, die Qualen, die ich von Frl. Opp. erlitt; ich lese das und sehe doch, dass es mir jetzt viel besser geht. Hieraus der Entschluß: mit allen Mitteln, sei es den verwerflichsten, meinen Besitz (Emmy) zu verteidigen. Das kann ich nur, indem ich mich auf Gleichgiftigkeit zu stimmen suche. - Sonst reißt der Faden.

    Von Felix ein unglücklicher Brief. So wimmern wir jeder in unserem Höllenloch! - Wenn du schreibst, bist du doch am besten dran!

Max        


    Grüße Ottla. - Bitte, laß bald von dir hören.

    Ich las auch in der schrecklichen vergangenen Woche, sofern bessere Momente eintraten, Wagners Briefe an die Wesendonk. - Eine wundervolle Hilfskonstruktion. Wagner, dieser tyrannische Mensch (so erscheint er doch eigentlich in allen Berichten), bildet sich ein, ein buddhistischer Heiliger zu sein - im Sinne Schopenhauers und dessen "Willensverneinung". Er rühmt sein Mit-Leiden u.s.f. (Ich verstehe das deshalb so genau, weil ich einmal denselben Weg gegangen bin.) Der Verzicht auf die Wesendonk ist für Wagner höchste Bewährung, weil ja eben Verzichten höchste Menschlichkeit ist. Er entwirft ein Buddha-Drama. Im Verzicht findet er die Geliebte, die gleichfalls verzichtet hat. Es sind noch mehrere erotische Verschleierungen der Wahrheit in dem Briefwechsel. In meiner Kritik über "Tristan" schrieb ich ein paar Worte, aber nur so aus dem Gedächtnis, den Briefwechsel las ich erst nachher noch einmal. - Immer wieder ermahnt Wagner sich selbst: "Straff! Straff!" - Ein schöner Refrain. - Die Kunst ist für ihn ein Niedersinken aus der höchsten Nirwana-Stufe. Seine Eingebungen schmerzen. Aber da sie ihn mit der Geliebten vereinen (im Tristan-Werk), gestattet er sich dieses Herabsinken. Hier häufen sich die Widersprüche. - Und Wahrheit ist nur das Eine: dass man versuchen muß, auf irgendeine Art mit dem Unheil der Liebe fertig zu werden, ohne das Heil, das aus ihr und nur aus ihr kommt, abzustoßen.

    Dies über Wagner schreibe ich dir als Ergänzung zu deinen Bemerkungen über den Schriftsteller.

    Ich bin immerfort ganz allein, - drei Worte mit Dr Bleha reichen mir für einen Tag aus.

    Bericht von dir freut mich sehr, - schreibe mir, wenn dir der Roman Zeit läßt. Wie weit hältst du? Wie ist der Gesundheitszustand?



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Klarissa-Première: Siehe Anm.10 oben und Brods Brief vom 14. September 1922.


Ady: Endre (Andreas) Ady (1887-1919), der als Führer der modernen ungarischen Dichter betrachtet war. Kafka wurde später durch Robert Klopstock auf ihn aufmerksam (siehe Br 422, wo er sich auf die Auswahl von Adys Werken in deutscher Übersetzung - Auf neuen Gewässern, Leipzig etc.: E. P. Tal 1921 - bezieht, die sich in seiner nachgelassenen Bibliothek befindet).


Kierkegaardband: Der Gesichtspunkt für meine schriftstellerische Wirksamkeit war 1914 als Bd.10 der Gesammelten Werke bei Diederichs erschienen (vgl. 1918 Anm.41).


Misdroy: Ostseebad auf der Insel Wollin, das Brod von seiner Jugend her kannte (vgl. SL 127).


Adas Tod: Ada, die Schwester von Elsa Brod, ist am 24. November 1914 gestorben.


Frl. Opp.: Siehe 1917 Anm. lll.


Wagners Briefe: Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853-1871, Berlin: Duncker 1904.


Kritik über "Tristan": "Tristan und Isolde. Wagner-Zykles im Neuen Deutschen Theater", Prager Abendblatt, 4 Juli 1922.


Dr Bleha: Vom Prager Abendblatt.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at