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Brief an den Vorstand der Anstalt


Löblicher Vorstand!

Mein derzeitiger Urlaub geht am 11. Juni d. J. Zu Ende. Mein Gesundheitszustand hat sich zwar im Laufe der Zeit, während der es mir möglich war, mich einer systematischen Kur zu unterziehen, wesentlich gebessert, ist aber trotzdem noch nicht ein solcher, mir ohne die Gefahr, dass sich mein Lungenleiden verschlechtert und ich dadurch gezwungen sein würde, nach einer kürzeren Zeit wiederum die Gewährung eines neuen Urlaubs zu ersuchen, den reget-mäßigen Dienstantritt zu erlauben. Weil ich zu solch einem Urlaubs yBesuch nicht schon greifen will und der Arzt mir versichert, dass beientsprechender Behandlung und Ruhe meine Gesundheit im Verlaufe von etwa 4 Monaten in dem Maße gestärkt und Widerstandsfähig sein wird, dass ich den Dienst ohne Befürchtung einer erneu ten Störung antreten kann, erlaube ich mir jetfit, höflich um meine Versetzung in den vorübergehenden Ruhestand bei Gewährung der Pensionsbezüge während seiner Dauer zu ersuchen.

Mit Rücksicht aber darauf, dass für die Berechnung meiner Pensionsbezüge meine Dienstzeit erst 17 Jahre aufweist, so dass die Pensionsbezüge sehr gering und besonders hinsichtlich der Notwendigkeit einer ärytlichen Behandlung völlig unzureichend wären, erlaube ich mir die weitere Bitte vorzutragen, mir meine Pensionsbezüge nicht nach der ersten Gehaltsstufe der IV. Klasse, in die ich jetzt tatsächlich eingereiht bin, sondern nach der dritten Gehaltsstufe zu berechnen. In diese Stufe wurde ich nämlich durch den Beschluß des löblichen Vorstandes eingereiht, jedoch erst mit Wirkung von dem Augenblick an, da ich den aktiven Dienst in der Kanzlei antrete. Der aktive Dienstantritt ist mir aber weiterhin ohne mein Verschulden durch das Lungenleiden unmöglich, und ich glaube somit, dass der löbliche Vorstand es mir nicht verübeln wird, wenn ich mir die oben angeführte Bitte vorzutragen erlaube.


Prag, am 7. Juni 1922

In tiefer Ehrfurcht Dr. F. Kafka
 


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at