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18-11-1921 Hans Mardersteig an Franz Kafka (Unseld 286)


Sehr geehrter Herr Kafka: Ich fürchte, dass Sie meinen Brief bereits ungelesen beiseite legen, wenn Sie den Briefkopf "Genius" sehen. Doch erlaube ich mir mich noch einmal an Sie mit der Bitte zu wenden, einen Beitrag für das nächste Geniusheft, das im Frühjahr erscheint, zu geben. Wir fürchten und sind dessen fast sicher, dass durch die Ungunst der Verhältnisse wir gezwungen sein werden, das Erscheinen der Zeitschrift mit dem 6. Heft, das im Frühjahr erscheinen soll, einzustellen. Und wir wären sehr unglücklich, wenn diese Zeitschrift abgeschlossen werden müsste, ohne dass wir auch nur einen noch so kleinen Beitrag von Ihnen publizieren könnten. Es ist kein leeres Gerede, wenn ich Ihnen sage, dass kein Autor mir so wichtig gewesen wäre wie Sie, und ich bitte Sie meine früheren Briefe und Versicherungen nicht als eine übliche Formel anzusehen. Die Arbeit an einer Zeitschrift, wie es der Genius ist, hat ganz ausserordentliche Schwierigkeiten, und die Freude über die Publikation bleibt infolgedessen relativ gering. Wenn aber auch noch die wichtigsten Menschen, die man darin publizieren möchte, dafür keine Beiträge geben, so wird die Her- ausgabe einer solchen Zeitschrift illusorisch gemacht. Ich möchte noch hinzufügen, dass ich es Ihnen vollkommen überlasse, welche Länge Ihr Beitrag haben soll und Ihnen sagen, dass ich bereit bin, jede Konzession zu machen für den Fall, dass Sie nur eine längere Arbeit zur Verfügung haben. Max Brod erzählte mir gelegentlich in früheren Jahren, dass Sie noch mehrere Arbeiten unvollendet bei sich liegen hätten: Vielleicht entschliessen Sie sich, wenn es Ihnen widerstrebt, diese Arbeiten abzuschliessen, eines dieser Fragmente uns zu überlassen.

Indem ich nun dieses Mal auf eine Zusage von Ihnen hoffe, bleibe ich in

ergebenster Hochachtung Ihr Dr. Mardersteig


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at