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[An Ottla Kafka]
Also wirklich, meine arme kleine Schwester ist von ihrer großen Věra
so in Anspruch genommen, dass sie mich ohne weiteres auf Aprilscherz-Sanatoriumsschiffen
auf die hohe See hinausfahren läßt. So spiele ich also doch
mit Deinem Ohr und wollte es gar nicht, schrieb ja dass das Feuilleton
aus der Nummer vom ersten April kommt, aber bei dieser Briefstelle weinte
wahrscheinlich Věra und wetzte ihre kleine Zunge.
Die Sommerfrische. Gewiß, das wäre das schönste, ich antwortete
damals nur deshalb nicht, weil es mir damals so wie heute nicht durchführbar
vorkommt. Mir wird übel, wenn ich daran denke, wie widerlich (nicht
der Leichtsinn darin beleidigt mich, aber die Widerlichkeit, die gespensterhafte
Widerlichkeit) ich mich in dieser Hinsicht in Prag benommen habe. Nun würde
ja wenn ich mich vor jeder Berührung mit Věra hüten würde,
keine wirkliche Gefahr für sie bestehn, der Arzt wird es bestätigen,
aber im Gehirn bleibt ein Risiko doch, und nicht nur in meinem, auch in
dem der andern. Darum glaube ich können wir nicht zusammenfahren.
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Die Mutter, so lieb, schreibt mir heute wiederum wegen der Schiffe. Beim
Hereinfall in Aprilscherze seid Ihr wirklich sehr hartnäckig, dabei
hatte ich es nur auf Pepa abgesehn, aber Ihr wolltet ihn nicht allein lassen.
Ich fürchte mich nur immerfort, dass Ihr Euch aus mir einen Spaß
macht.
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Wegen Věra mach Dir nicht zu große Sorgen, bedenke doch wie
schwer es für Erwachsene ist, sich an Neues zu gewöhnen, selbst
wenn sie zur Verteidigung des Bestehenden nichts Wesentliches anführen
könnten. Du erwähnst die Käsl auf dem Tisch und sprichst
die mit Furcht gemischte Hoffnung aus, die auch ich immerfort habe. Nun
hat Věra den himmlischen Tisch verlassen und sieht von Deinem Arm
auf den irdischen Tisch hinunter und er gefällt ihr nicht oder vielmehr
es ist von Gefallen gar nicht die Rede, sie muß sich nur an ihn gewöhnen,
das muß eine schreckliche für uns unvorstellbare Arbeit sein.
Nur um sich dafür zu stärken, muß sie so viel "essen",
vielleicht auch um sich zeitweilig zu betäuben. "Die Welt ist
ja nicht zum Aushalten" sagt sie sich manchmal "nur schnell
sich volltrinken". Und dann trinkt sie und dann weinst Du.
- Ich mußte letzthin nur ins Nebenzimmer übersiedeln,
in ein Zimmer überdies, auf dessen Balkon ich seit 4 Monaten liege
und fast alle meine Möbel wurden mit hinübergenommen und doch
hatte ich Mühe mich zu gewöhnen, bis sich schließlich nach
paar Stunden ergab, dass dieses Zimmer mit der großen Balkontüre
und mit viel Luft und Licht noch viel besser war als das vorige. So wird
es Věra auch gehn. - Du mußt auch bedenken, dass für
Věra das Essen der nächstliegende und am leichtesten zu erobernde
Teil der großen Welt ist und so nützt sie aus und Du mußt
es leiden.
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Das ärztliche Zeugnis liegt bei. Mach also den schweren Weg und bald
bitte. Ich bin dafür, gleich jetzt nur das halbe Gehalt zu verlangen,
ich werde auch damit auskommen und es wird mir leichter sein es anzunehmen.
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Grüß Elli und Valli trotz meiner gereizten Bemerkungen letzthin.
Es ist eben an manchen Tagen so. Auch das Fräulein
Dein
Viel Glück zu Pepas Reise.
Das gegen Ende des Briefes erwähnte ärztliche Zeugnis Dr. Leopold
Strelingers ist auf den 5. Mai datiert. Kafka hat ihm ein kurzes auf den
6. Mai datiertes Begleitschreiben beigegeben; es lautet in deutscher Übersetzung:
"Löblicher Verwaltungsausschuß! Im Hinblick auf das vorgelegte
ärztliche Zeugnis vom 5. Mai dieses Jahres bitte ich ergebenst den
mir bis 20. Mai bewilligten Urlaub noch zu verlängern." (D 75)
Das Gesuch wurde am 13. Mai bewilligt, die Beurlaubung Kafkas bis 20. August
1921 verlängert. (Vgl. D 76 und Nr. 98)
ins Nebenzimmer übersiedeln: Vgl. Nr. 88.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at