Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Robert Klopstock

[Prag, Anfang Dezember 1921]
 

Lieber Robert, was sind Sie doch für ein Mensch! Fräulein Irene ist aufgenommen. Ein Mädchen, das in 26 Jahren (offenbar entsprechend ihren Anlagen) keine andere Kunstarbeit gemacht hat, als die schlechte Kopie einer schlechten Ansichtskarte, keine andere Ausstellung gesehn hat als die von Hauptmann Holub, keinen Vortrag gehört hat außer den von Saphir, keine Zeitung gelesen hat außer die Karpathenpost - dieses Mädchen ist aufgenommen, schreibt halbglückliche Briefe nicht ohne Feinheit, ist die Freundin eines offenbar bedeutenden Mädchens. Wunder über Wunder und von Ihnen heraufgezaubert. Ich wärme mich daran in diesem traurigen Winter.

Ihr K




Holub : Nach Angabe von Robert Klopstock waren Holub und Saphir Lokalgrößen der Zipser Gegend. Die "Karpatenpost" war ein deutsches Wochenblättchen dieser Sprachinsel in den Karpaten. Klopstock merkt an, daß Kafka für dieses Blatt eine kleine Rezension über die von Maler Holub, einem Berufsoffizier der tschechoslowakischen Armee, ausgestellten dilettantischen Landschaftsbilder geschrieben hat. (Vergleiche den Brief an Ottla, Seite 325f).


Eigenh. Brief mit U. ("K"). 1 Seite (20 Zeilen in Bleistift auf blau liniertem Papier) . Mit horizontaler Knickspur. Gr.-8vo (14,5:22,3 cm) . [ PragJ , [Mitte November 1921 ] (Dat. nach beiliegendem Umschlag von R. Klopstock "Anf Mitte November 1921"; nach Br Anfang Dezember 1921 )

Lieber Robert, was sind Sie
doch für ein Mensch! Fräulein
Irene ist aufgenommen. Ein Mädchen,
das in 26 Jahren (offenbar entspre-
chend ihren Anlagen) keine andere
Kunstarbeit gemacht hat, als die
schlechte Kopie einer schlechten Ansichts-
karte , keine andere Ausstellung ge-
sehn hat als die von Hauptmann
Holub, keinen Vortrag gehört hat,
ausser den von Saphir, keine Zei-
tung gelesen hat ausser die Karpathen
post - dieses Mädchen ist aufgenom-
men, schreibt halbglückliche Briefe
nicht ohne Feinheit, ist die Freundin
eines offenbar bedeutenden Mädchens.
Wunder über Wunder und von Ihnen
heraufgezaubert. Ich wärme mich
daran in diesem traurigen Winter

Ihr K


Original: Inlibris Verlag
Quelle Text: Briefe 1902 - 1924, S. 351; Kafkas letzter Freund, S. 29
Quelle Anmerkungen: Kafkas letzter Freund, S. 29 - 30

1] Fräulein Irene. vgl. Nr. 3 , Anmerkung 3
2] Hauptmann Holub: Roben Klopstock merkt hiezu am beiliegenden Umschlag an: ",Ausstellung von Hauptmann Holub': Eine dilettantische Ausstellung von Landschaftsbildern eines Berufsoffiziers der tschechischen Armee - mal veranstaltet in Matlar
Karpathenpost: ein kleines deutsches Wochenblättchen des Zipser Deutschtums für den [sic] Kafka eine kleine Recension schrieb uber [!] dieselbe Ausstellung.
Saphir: ein modischer Vortrag reisender Plauderer in den kleinen Stadtchen [!] der Zipser Gegend." Vgl . auch Max Brods darauf Bezug nehmende Anmerkung in Br 514, Anm. 30. - In der erwähnten Rezension (Aus Matlarhaza. In: Karpathen-Post. Politisches Wochenblatt zur Förderung der gesamten Interessen des Zipser Deutschtums. Jg. 42, Folge 17 vom 23. April 1921, Wiederabdruck in KKAD 443) äußert sich Kafka jedoch, anders als Klopstock, anerkennend über den malenden Hauptmann und Mitpatienten : "[...] Gerade solche neue, dabei persönlich betonte Bilder sind mehr als alles andere imstande, den Blick für die Schönheit unserer Berge zu öffnen [...]" (ebd). Wie aus einem Brief an Ottla hervorgeht, hatte Klopstock gleichfalls eine Besprechung der Ausstellung des malenden " GeneraIstabshauptmann[s] , der nur "2 Beschäftigungen, Zeichnen und Aquarellmalen" besäße (BO 120, Nr. 96), verfaßt: "[...] der Mediciner schrieb eine Besprechung in eine ungarische Zeitung, ich in eine deutsche, alles im Geheimen. Er [d. i. Hauptmann Holub] kam mit der ungarischen Zeitung zum Oberkellner, damit er es ihm übersetze; diesem war es zu compliciert, er führte daher in aller Unschuld den Hauptmann zu dem Mediciner, er werde es am besten übersetzen [...]" (ebd., 121 ). Der Akademieaspirantin Irene Bugsch gegenüber äußert Kafka einmal mit Blick auf die erwähnte Besprechung: "[...] ich habe, trotzdem ich einmal Kunstkritiker der Karpathenpost war, überhaupt, wie ja viele Menschen wahrscheinlich, keinen primären Blick für die bildende Kunst" (unveröffentlichter Brief aus Privatbesitz, zit. n. KKAD App 542).
3] Saphir. n. e.
4] Karpathenpost. 1880 erstmals als Wochenblatt in Käsmark erschienen, vertrat die Zeitschrift bis zu ihrer erzwungenen Einstellung 1942 die Interessen des Zipser sowie des gesamten Karpatendeutschtums. VgL auch Nr. 32.
5] Winter. in Br: Winter


Letzte Änderung: 2.3.2011werner.haas@univie.ac.at