Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Robert Klopstock

[Prag, September/Oktober 1921]
 

Lieber Robert, heute nur Frl. Irenens Sache. Ich war also bei Pick, er wußte nichts..., aber Paul Adler war dort, sehr bereitwillig, hat mir dann in einer Gesellschaft, in die ich allerdings gehn mußte, die beiliegenden zwei Briefe geschrieben; er ist ein ausgezeichneter Mensch; dass er es auch in dieser Hinsicht ist, hätte ich nicht erwartet. Der eine Brief ist an Prof. Dreher gerichtet, er ist ein Kunst-Akademieprofessor, etwa 45 Jahre alt, sehr freundlich, ebenso wie seine Frau, er ist ein Freund des in beiden Briefen erwähnten Gross, welcher Direktor der Kunstgewerbeakademie ist. Sollte die Adresse Dresden A Waisenhausgasse 7 nicht genau stimmen, ist sie jedenfalls in der Kunstakademie genau zu erfragen. Er könnte zwar auch in der Kunstakademie selbst aufgesucht werden, zuhause ist es aber vorteilhafter, weil Frl. Irene darin gleich mit der Frau bekannt wird und unter weiblichen Schutz kommt. Georg von Mendelssohn kenne ich flüchtig, er erinnert sich meiner gewiß nicht, ihn aber kann man nicht vergessen, ein riesiger langer nordländisch aussehender Mensch mit einem kleinen, entsetzlich energischen Vogelgesicht, man erschrickt vor seinem Wesen, seiner kurz abgehackten Rede, seiner scheinbar für jeden möglichen Fall ablehnenden Haltung, aber man maß nicht erschrecken, er meint es nicht böse, zumindest nicht im Durchschnitt seines Verhaltens und ist unbedingt zuverlässig. Er steht im Mittelpunkt des deutschen Kunstgewerbes, hat in Hellerau eine Kunstschmiede und gehört wohl in jeder Hinsicht zu den "Wissenden" des Kunstgewerbes.

Da ich diese zwei Briefe bekommen hatte (in denen natürlich abgesehn von ihrer Liebenswürdigkeit aller möglicher Unsinn steht, über den des guten Zwecks wegen Frl. Irene wohl hinwegsehn wird, wie auch ich es tue) halte ich es für das Richtigste, sich jetzt nur auf Dresden zu beschränken. Frl. Irene wird dort, je nachdem sich ihr die Dinge zeigen, Gelegenheit haben, in einer kleineren persönlicher geleiteten Schule oder in der Kunstgewerbeschule selbst zu lernen, außerdem ist es eine schöne, angenehme und vor allem verhältnismäßig sehr gesunde Stadt (viel gesünder, gartenstadtmäßiger als München) und doch auch am nächsten zur Heimat.

Ich habe deshalb das Gesuch nur dorthin geschickt; kommt keine Antwort oder eine ablehnende macht es nichts, die Empfehlungsbriefe werden es wieder gutmachen und kommt eine günstige Antwort, kann man sich den neuen Freunden in Dresden schon mit etwas ausweisen. Das Geld und die Marken der andern Gesuche schicke ich deshalb in der Beilage vorläufig zurück. Dem Gesuch nach Dresden habe ich 20 Kronen beigelegt, 10 Kronen schien mir zu wenig.

Ich schreibe Ihnen, weil mir Hunsdorf postalisch irgendwie unzuverlässig vorkommt, vielleicht ist das Frl. auch schon in Matlar.

Herzliche Grüße dem Frl. und Ihnen

K


Damit Frl. Irene den Briefschreiber ein wenig kennen lernt, lege ich eine Kritik von ihm bei. Ist denn Hunsdorf Post? Das Telegramm soll ja hinkommen.


[auf separatem Bogen:]

Und jetzt noch ein paar Worte im Vertrauen zu Ihnen: Solange es sich nur um das hoffnungslose Experiment einer Gesuchseinsendung handelte, hat es mich interessiert, aber doch nur von der Ferne, so wie es z. B. bei Jules Verne interessiert, wenn man die leichtsinnigen Kinder auf dem Schiff spielen sieht; das Schiff wird sich doch nicht zufällig losreißen, sagt man sich, und etwa ins Weltmeer hinaustreiben, aber die entfernteste Möglichkeit dessen besteht doch und das ist eben interessant. Jetzt aber da es ernst wird und ich selbst mit hinein verflochten bin, ist es nicht mehr interessant. Ihr Urteil in dem Brief halte ich nicht für richtig, wohl aber jenes des Münchner Rektors. Aber auch das ist nicht das Entscheidende, selbst wenn gar kein lebendiges Talent hier aufzufinden wäre - und das scheint, nicht so sehr für meine unwissenden Augen als für meine Menschenkenntnis tatsächlich der Fall zu sein - wäre es an sich nicht so schlimm, die Zucht der Schule, der Einfluß des Lehrers, die Verzweiflung des eigenen Herzens könnten doch etwas Brauchbares erreichen, das alles aber nur in früher Jugend, im Alter Frl. Irenes nicht mehr. Gewiß, sie lebte ihr Leben lang dort in dem Zipser Urwald (so erscheint es ja von der Geistesbeweglichkeit der Dresdner Herren aus gesehn) und diese zarte Ungeschicklichkeit, Scheu, menschliche, künstlerische, allseitigste Unerfahrenheit hat einen gewissen Materialwert, die radikale Änderung der Lebensweise wird stark wirken, eine gewisse immerhin bestehende Robustheit wird diese Wirkung ohne Schaden zu ertragen wissen, aber leider, wegen des Alters, auch ohne Nutzen. Und welche Verantwortung trägt man, wenn man sie so hinaustreibt. Gerade jetzt in den Jahren, in denen sie sich noch durch eine Heirat retten könnte, wird sie im Ausland sein, erkennen, dass diese Hoffnung auch vergeblich war, beschämt zurückkommen und erst jetzt sehn, dass wirklich alles verloren ist. Ich bin unglücklich bei der Vorstellung, dass sie auf der Reise nach Dresden hier durchkommen wird, ich sie sehen werde (zum Zeigen der Stadt bin ich übrigens zu schwach) und so werde tun müssen, als hätte ich Zuversicht. Und wenn ich mir vorstelle, wie der Kunstakademieprofessor, der gute Sachse, sagt: "Nun also liebes Fräulein, zeigen Sie uns Ihre Arbeiten" und die Frau Kunstakademieprofessor steht auch dabei, möchte ich mich schon jetzt, trotzdem ich auch dann örtlich weit von der Szene entfernt sein werde, vor den Schrecken der Welt in ein Erdloch verkriechen. Die Empfehlungsbriefe sind schön, noch schöner wäre es, sie zu zerreißen.


Ich war gestern noch in einer Gesellschaft, die zusammengekommen war, um eine neue junge Rezitatorin zu hören (deren künstlerische Zukunft - sie lernt bei Reinhardt - mir übrigens nicht viel weniger verzweifelt vorkommt als die Frl. Irenens) -, dann war ich aus Schwäche noch im Kaffeehaus, kam nervenzitternd nachhause, ich ertrage jetzt nicht einmal die Blicke der Menschen mehr (nicht aus Menschenfeindschaft, aber die Blicke der Menschen, ihre Anwesenheit, ihr Dasitzen und Herüberschauen, das alles ist mir zu stark) hustete mich stundenlang* in einen Morgenschlaf hinüber und wäre am liebsten aus dem Leben hinausgeschwommen, was mir wegen der scheinbaren Kürze der Wegstrecke leicht schien.


Zu Münzer gehe ich erst in ein, zwei Tagen.


Warum geht das Fräulein nicht lieber in eine Gartenbauschule? Übrigens, vielleicht gäbe es etwas derartiges auch in Dresden.

Eben sehe ich, dass Frl. Irene nicht 28 Jahre alt ist, wie ich dachte, sondern 26, diese Kleinigkeit gibt doch vielleicht ein wenig Hoffnung.


* nicht telegraphieren! Ich habe nicht stundenlang gehustet, sondern stundenlang nicht geschlafen und dabei auch ein wenig gehustet.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at