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[Prag]

14. Mai [1921]
 

Liebster Franz,

Ohne die postalische Kausalität zu verstehen, bekam ich knapp nach einander zwei Briefe von dir. Ich kann es nur so erklären, dass vielleicht einer meiner Briefe dich sehr verspätet erreicht hat.

    Beiliegend ein paar Kritiken von mir. Du bist ja mein einziger Zeitungs-Leser (dh.der einzige, dessen Reaktion mir bekannt wird). Ferner lege ich eine Kritik Oskars bei, wie du gewünscht hast. Sein Verhältnis zur Pr. Pr. ist noch nicht ganz fest. Doch gegen Mitarbeit im künstlerischen Teil ist nichts einzuwenden, wie uns nach sehr langen Diskussionen klar zu werden schien. Ich habe auch noch keine Stimme dagegen gehört. In die Redaktion ist u. a. Paul Adler (Hellerau) eingetreten, lebt jetzt hier. Gelegentliche Beiträge von Hesse, Hofmannsthal, Werfel, Salus u. a. standen in dem Blatt. Wenn ich nicht irre, auch etwas aus dem "Landarzt" mit Hinweis auf das Buch. - Das Blatt scheint gar keine politische Wirkung zu haben. Es ist also sehr gegen den Willen seiner Gründer nichts als eine Unterstützung deutscher und jüdischer Autoren, eine neue Resonanz für deutsches Theater und Konzertwesen u.s.f. Komisch, nichtwahr? - Für Baum kam überdies diese Unterstützung gerade im rechten Moment. Er ist seither viel ruhiger geworden. - Klavierstunden gibt er weiter, doch war das immer sehr wenig.

    Auch bei Felix ist wieder die Sache ruhiger geworden. Vor allem hat dazu eine neue "Perle" von Dienstmädchen beigetragen. - Aber dass er kein philosophisches Werk mehr schaffen wird, wenn sich die Situation nicht total ändert, ist mir leider klar. Im Übrigen handelt sich's nur um mehr minder Bequemlichkeit. Felix ist übrigens jetzt ganz von politischer Arbeit, Zion. erfüllt, während ich Reservestellungen bezogen habe. Bis zum Herbst. - Öfters haben wir Besuch von Berliner Zionisten, auch jungen Mädchen, herrlichen starken Geschöpfen. Wie Großes hätte Felix leisten können, an Seite eines dieser harmonischen Wesen. - Nebenbei: Felice hat eine Tochter. - Dies ohne andern als lokalen Zusammenhang (Berlin) mit dem Vorigen. -

    Was du über dein Befinden sagst, ist doch sehr erfreulich. Echt hypochondrisch schiebst du es aufs Wetter. Als ob das ein Gegenargument wäre. Wenn das Wetter deinen Krankheitsherd zur Verkalkung bringt, so hat es eben als Heilfaktor seine Schuldigkeit getan. Nicht mehr, nicht minder. - Locopansalbe wird dir wahrscheinlich von Zwickau aus zugehen, wenn Ausfuhr möglich ist. - Diese nervösen Lärmstörungen kenne ich zu gut. Sie sind natürlich nicht Sache des Ohres. Jetzt, wo mein Herz wieder einverstanden ist mit seinem Schicksal, schreibe ich unter Klavierbegleitung - und ein Bau mir gegenüber, der täglich neue Sorten von Großgeräusch erfindet, der mir früher einfach Gesundheit und Besinnung geraubt hätte, er ist mir eine Quelle von Vergnügen, ich transformiere z. B. das Schneiden von Holzbalken in eine Brettsäge mitten im Walde und habe auf diese Art einen Gratisausflug. Faktisch habe ich diesen Sommer noch keinen Wald gesehen, so bin ich in Arbeit. Roman, eine Übersetzung (Janáček: Lieder -eben fertiggeworden) und Abends Theater und Kritik. - Leider habe ich dich nicht da. Mit dir würde ich doch einmal auf die Sophieninsel gehen oder ins Korunabad, würde dir so gern vorlesen, - denn bei den andern habe ich so wenig davon. Elsa ist noch am besten. Baum macht ungeschickte Bemerkungen, die mich stören, die er dann widerruft, die nur schlecht ausgedrückt, durchaus nicht unbegründet und oft sogar förderlich sind. Felix widerstrebt dem Irrationalen oder läuft nach Kapitelschluß weg, um die Elektrische zu erreichen. - So, nun habe ich die Freunde schön beklatscht. Es ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Und sie helfen mir sehr in vielem. Nur im Vergleich zu dir - wenig.

    Was den Mediziner anlangt, so hat mir Pick gestern (auf Urgenz) versprochen, den Brief ganz sicher durch eine verläßliche Privatperson über Reval zu befördern. Der offizielle Weg ist ungangbar, den du angibst. - Die Empfehlung an die Kultusgemeinde Prag ist wohl wertlos. Wichtig wäre eine an den Prager Oberrabbiner Dr Brody, denn der arbeitet aktiv. Als Haupterleichterung kommt unsere jüdische mensa academica in Betracht. Ferner das Joint (Frl. Gellner), doch heißt es immer wieder, dass dieses seine Arbeit einstellt. Bis dahin wird aber eine Ersatz-Institution geschaffen sein.

    - Schreibe recht bald - deinem Max



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Pr. Pr.: Prager Presse.


aus dem "Landarzt": Ein Nachdruck von Kafkas "Auf der Galerie" (aus Ein Landarzt) war am 3. April 1921 in der Sonntags-Beilage der Prager Presse erschienen.


Janáček: Lieder: Es handelt sich um Janáčeks "Vier Männerchöre" 346 (Čtveřice mužských sborů, Brünn 1886). Die zweite Auflage (Prag 1924) enthält neben dem tschechischen Text der Lieder die deutsche Übersetzung von Brod ("Drohung", "Ach Liebe!", "dass wieder Krieg ist" und "Deine schönen Augen").


das Joint: Das "American Jewish Joint Distribution Committee", eine 1914 in New York gegründete Hilfsorganisation zur Unterstützung von bedürftigen Juden außerhalb der USA (die heute noch tätig ist).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at