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Max Brod an Fanz Kafka

[Prag]

6/I 21
 

Liebster Franz,

Dein erster Brief schon hat mir Angst gemacht. -Ich kenne ja die Slowakei. Ich weiß, dass dort nur die erstklassigen Hotels brauchbar sind, - die zweitklassigen schon sind tief unter mittel. In Deutschland kann man sehr gut in einem drittklassigen Hotel wohnen, sogar die vierte Bahnklasse ist sauber, -in Ländern niederer Zivilisation, schon in Böhmen, ist schon Sauberkeit ein Luxus für die höheren Stände. Nie werde ich vergessen, wie in Triest ein Waterkloset und eine Wasserleitung im Hotelzimmer schon geradezu milliardärhaft, vanderbiltisch wirkte. Es war im Hotel Volpone und Phantasiepreise fand man sofort völlig gerecht. Nun aber bist du eben leider nicht ins beste Sanatorium gegangen. Und ich fühle: schon das zweitbeste ist wertlos. - Es wird genauso wie in Meran sein. Ich begreife nicht, wie du in einer Sache sparen kannst, die doch um Leben und Tod geht, wenn mans klar heraussagen darf. - Ich fühle, dass du es nicht sauber um dich hast. Wieso ich das fühle, kann ich nicht erklären. Du machtest ja keine Andeutung. - Trotzdem . . . [einige Worte unleserlich gemacht] Und man kocht dir zwar, was du willst, aber das ist eben das Falsche. Denn du müßtest auch wider deinen Willen gefüttert werden. Franz, du mußt doch diesmal dick werden, begreife es endlich! Betrachte drei Monate als Kriegsdienst, in dem man eben nicht nach Gutdünken und Behagen leben kann, sondern höheren Anweisungen folgend. - Nun weiß ich ja schon im voraus, was du einwenden wirst. Deine eigene Methode, dich zu kurieren, geht dir über alles. Prinzipiell gebe ich dir Recht. Hättest du nur mehr Erfolge aufzuweisen mit ihr! Da dies aber doch nicht der Fall ist, würde mich an deiner Stelle das Experiment reizen, einmal probeweise für eine Zeit den eigenen Willen auszuschalten und mich den Erfahrungen anderer, aber nur erstklassiger Ärzte und Institutionen, anzuvertrauen. Geht es nicht, kannst du ja wieder in die gewiß zugluftige, ärmliche Villa, die du jetzt bewohnst, zurückkehren. Aber einen Versuch ist die Sache doch wert. - Du wirst sagen, dass du schon früher in Sanatorien schlechte Erfahrungen gemacht hast. Aber früher warst du eben nicht ernstlich krank, nur nervös. Für seelische Migräne ist gewiß das Sanatorium nichts, muß noch mehr verstimmen; aber für rein körperliche Ausheilung. - Bitte, bitte, nimm meine Worte so ernst, wie sie geschrieben sind.

    Meinen Ernst sollst du auch daran erkennen, dass ich über das tiefere Leid deines zweiten Briefes (heute) nichts sage. Ich verstehe (zu meiner Schande) sehr wenig von deiner Position zu den Frauen. Mein Leid liegt so sehr antipodisch dazu. Ja, an Kurt Wolff werde ich in deiner Sache schreiben. Doch vorläufig ist er mir auf einen 12-seitigen Brief-Komplex Antwort schuldig. Da muß ich warten.

    Du fragst mich nach dem Roman. - Ja, der ist auch weiter noch eine große Frage. - Indessen habe ich in diesen Tagen eine Biographie Adolf Schreibers geschrieben. Dazu all seine Briefe gelesen. - Es war furchtbar traurig -. Und diese wahnsinnig schönen Lieder.

Die Berliner Sache geht wirklich genau in den Spuren der Brünner. - Da bis heute kein Brief kam (died also genau der Gegensatz zu dir - die kalte Hölle) habe ich heute früh antelephoniert. Wie damals die Antwort: "unterwegs, seit vorgestern". Ob es war ist wird sich zeigen. Ein kleiner Unterschied war doch da: Brünn Prag versteht sich gegenseitig, heute aber verstand ich


Und wenn ich wieder nach Berlin komme, wohl im Feber, wollte sie mein sein; nur muß ich eben anderswo wohnen als in ihrem Hotel. Sie versprach selbst, eine passende Pension zu suchen. - Und plötzlich hatte ich bis heute, also drei Wochen, keine Nachricht. - Ich bin so schwach - und da kam dein Brief, der von meiner Stärke spricht - diese Bewunderung deinerseits ist für mich nichts Gutes, das weiß ich wohl, ich kann sie nur als Zeichen deiner Freundschaft nehmen und da ist sie mir ja unendlich lieb. Aber keinen Moment lang vergesse ich mein Unglück. Ich glaube heute, dass ich zu heilen wäre - durch eine Geliebte, unter besonderer Konstellation. Seit 2 Jahren weiß ich das, aber ich bin meinem Ziel nicht um einen Schritt näher gekommen. Vielleicht ist es ein falsches Ziel. Aber zumindest glaube ich das Eine: an diesem falschen Ziel angelangt würde ich das richtige sehen! O ich weiß es, ich würde es sehen. Bitte adressiere diesmal deine Antwort bestimmt an die Chiffre "Koscher" in Prag, hauptpostrestante. - Alles Gute dir!


NB. Du brauchst keine Ansichtskarte zu schicken, denn ich frage nach dieser Chiffre ohnedies nach.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


unleserlich gemacht: Von Kafka; siehe seinen Brief vom 13. Januar 1921.


Biographie: Siehe 1917, Anm.22.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at