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Milena Jesenská an Max Brod


[Von Max Brod datiert: 21. Juli 1920]


In deutscher Sprache geschrieben; Brod gibt den Brief, von einigen Kürzungen abgesehen, unverändert und unverbessert wieder.


Brod hatte Milena aus persönlichem Interesse um Auskünfte über den in das Sanatorium Weleslawin eingewiesenen Karl Příbram (N. N.) gebeten; durch Kafka hatte er erfahren, dass auch Milena sich dort eine Zeitlang aufhalten mußte.


Sehr geehrter Herr Doktor!

Sie wollten von mir irgendeine Beweisen, dass dem Herrn N. N. in Weleslawin Unrecht geschieht. Ich kann Ihnen leider sehr wenig bestimmtes für Behörden reifes sagen, obgleich ich es ungemein gern täte. Ich war in Weleslawin seit Juni 1917 bis März 1918, ich wohnte in derselben Villa und alles, was ich für ihm tun konnte war, dass ich ihm einigesmal Bücher borgte und mich einigesmal einsperren ließ; er darf nämlich mit keinen Menschen reden, wenn es gesehen ist, dass er, auch ganz belanklos und in Anwesenheit des Pflegers, mit jemanden redet, sind dann alle eingesperrt und Pfleger entlassen.


Brod verweist an dieser Stelle auf Milenas Schilderung des generellen Zustandes, in dem sich Příbram befand; lediglich eine Briefstelle hebt er als charakteristisch für ihre Darstellung der Verhältnisse hervor:


Nur ist Psychiatrie eine entsetzliche Sache, wenn sie mißbraucht ist, anormal kann alles sein und jedes Wort ist neue Waffe für den Quäler. Daß es im Grunde so ist, dass Herr N. N. auch anders im Welt existieren kann, das will ich schwören. Beweisen allerdings kann ich nichts.


Im folgenden Schlußteil des Briefes wendet sich Milena Franz Kafka zu, den sie hier (wie auch in ihren Briefen an Kafka) "Frank" nennt (vgl. Brief vom [20. Juli 1920]):


Ich habe noch eine große Bitte an Sie, Herr Doktor. Sie wissen ja, dass ich nie von Frank erfahren kann, wie es ihm geht, dass er immer eigentlich "ausgezeichnet" daran ist, der liebe Mensch, und dass er sozusagen übergesund und überruhig ist und so weiter. Ich möchte Sie bitten, wirklich bitten, bitten - wenn Sie sehen, wenn Sie spüren, dass er leidet, dass er meinetwegen körperlich leidet, bitte, schreiben Sie mir sofort davon, ich sage ihm nicht, dass ich es von Ihnen weiß, und ich werde ein bißchen ruhiger, wenn Sie es mir versprechen. Wie ich ihm dann helfen werde, weiß ich nicht, aber dass ich helfen werde, weiß ich ganz genau. Frank sagt, man muß Sie "lieben, auf Sie stolz sein, Sie bewundern", nun tue ich das alles und danke Ihnen vielmals schon voraus - schon dafür, dass ich mich auf Sie verlassen kann.




Ich war ...: Vgl. Brief vom [12. Juni 1920], S. 56, und Brief vom (6. Juli 1920), S. 93 f.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at