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An Milena Jesenská
Du sagst Milena dass Du es nicht verstehst. Such es zu verstehn, indem
Du es Krankheit nennst. Es ist eine der vielen Krankheitserscheinungen,
welche die Psychoanalyse aufgedeckt zu haben glaubt. Ich nenne es nicht
Krankheit und sehe in dem terapeutischen Teil der Psychoanalyse einen hilflosen
Irrtum. Alle diese angeblichen Krankheiten, so traurig sie auch aussehn,
sind Glaubenstatsachen, Verankerungen des in Not befindlichen Menschen
in irgendwelchem mütterlichen Boden; so findet ja auch die Psychoanalyse
als Urgrund der Religionen auch nichts anderes als was ihrer Meinung nach
die "Krankheiten" des Einzelnen begründet, allerdings
fehlt heute hier bei uns meist die religiöse Gemeinschaft, die Sekten
sind zahllos und auf Einzelpersonen beschränkt, aber vielleicht zeigt
es sich so nur dem von der Gegenwart befangenen Blick.
Solche Verankerungen aber, die wirklichen Boden fassen, sind doch nicht
ein einzelner auswechselbarer Besitz des Menschen, sondern in seinem Wesen
vorgebildet und nachträglich sein Wesen (auch seinen Körper)
noch in dieser Richtung weiterbildend. Hier will man heilen?
In meinem Fall kann man sich 3 Kreise denken, einen innersten
A, dann B, dann C. Der Kern A erklärt dem B, warum dieser Mensch sich
quälen und sich mißtrauen muß, warum er verzichten muß
(es ist kein Verzicht, das wäre sehr schwer, es ist nur ein Verzichten-müssen)
warum er nicht leben darf. (War nicht z. B. Diogenes in diesem Sinn schwer
krank? Wer von uns wäre nicht glücklich gewesen unter dem, endlich
einmal auf ihn hochstrahlenden Blick Alexanders? Diogenes aber bat ihn
verzweifelt, die Sonne, diese schreckliche, griechische, unveränderlich
brennende, verrücktmachende Sonne freizugeben. Dieses Faß war
von Gespenstern voll.) C, dem handelnden Menschen wird nichts mehr erklärt,
ihm befiehlt bloß B. C handelt unter strengstem Druck, in Angstschweiß
(gibt es sonst solchen Angstschweiß der auf Stirn, Wange, Schläfe,
Haarboden, kurz rund herum auf dem ganzen Schädel ausbricht? Bei C
ist es so). C handelt also mehr in Angst, als in Verständnis, er vertraut,
er glaubt, dass A dem B alles erklärt und B alles richtig verstanden
und weitergegeben hat.
1] In meinem Fall .... : Vgl. "Hochzeitsvorbereitungen",
S. 336.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at