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An Milena Jesenská
Ja, Mizzi Kuh war hier, es ist ganz gut gewesen. Ich werde aber, wenn es
nur irgendwie möglich ist, nichts mehr über andere Menschen schreiben,
ihre Einmischung in unsere Briefe hat alles verschuldet. Aber nicht deshalb
werde ich von ihnen nicht mehr schreiben (sie haben ja nichts verschuldet
sondern nur der Wahrheit und dem was ihr folgen will eine Gasse gemacht)
ich will sie nicht damit strafen falls das für sie als eine Strafe
angesehen werden könnte, sondern es scheint mir nur dass sie
nicht mehr her passen. Es ist Dunkel hier, eine dunkle Wohnung, in der
sich nur Einheimische, und die mit Schwierigkeit, zurechtfinden.
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Ob ich wußte dass es vorübergehn wird? Ich wußte
dass es nicht vorübergehn wird.
Als Kind wenn ich etwas sehr Schlechtes angestellt hatte, nichts Schlechtes
oder nichts allzu Schlechtes im öffentlichen Sinn, aber etwas sehr
Schlechtes in meinem privaten Sinn (dass es keine öffentliche
Schlechtigkeit war, war nicht mein Verdienst, sondern Blindheit oder Schlafen
der Welt) dann war ich sehr erstaunt, dass alles seinen Gang unverändert
weitergieng, die Großen, allerdings ein wenig verdüstert, aber
sonst unverändert um mich herumgingen und ihr Mund, dessen Ruhe und
selbstverständliche Geschlossenheit ich seit meiner frühesten
Kindheit immer von untenher bewundert habe, auch weiterhin geschlossen
blieb. Aus dem allen schloß ich, nachdem ich es ein Weilchen lang
beobachtet hatte, dass ich doch offenbar nichts Schlimmes, in keinem
Sinn, gemacht haben könne, dass es ein kindlicher Irrtum sei
das zu fürchten und dass ich daher wieder genau dort anfangen
könne, wo ich im ersten Schrecken aufgehört hatte.
Später änderte sich allmählich diese Auffassung der Umwelt.
Erstens fing ich zu glauben an, dass die andern sehr gut alles merken,
ja dass sie auch ihre Meinung deutlich genug äußern und
dass nur ich bisher keinen genügend scharfen Blick dafür
gehabt hätte, den ich nun sehr schnell bekam. Zweitens aber schien
mir die Unerschütterlichkeit der andern, selbst wenn sie vorhanden
sein sollte, zwar noch immer erstaunlich, aber kein Beweis mehr, der für
mich sprach. Gut, sie merkten also nichts, in ihre Welt ging nichts von
meinem Wesen, bei ihnen war ich unbescholten, der Weg meines Wesens, mein
Weg ging also außerhalb ihrer Welt; war dieses Wesen ein Strom, dann
ging zumindest ein starker Arm außerhalb ihrer Welt.
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Nein Milena ich bitte Dich doch sehr, eine andere Möglichkeit des
Schreibens zu erfinden. Du sollst nicht vergeblich zur Post gehn, nicht
einmal Dein kleiner Briefträger - wo ist er? - soll es tun, nicht
einmal das Postfräulein soll überflüssig gefragt werden.
Findest Du keine andere Möglichkeit, dann muß man sich fügen,
aber streng Dich wenigstens an, eine zu finden.
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Gestern habe ich von Dir geträumt. Was im einzelnen geschehen ist,
weiß ich kaum mehr, nur das weiß ich noch, dass wir immerfort
ineinander übergingen, ich war Du, Du warst ich. Schließlich
fingst Du irgendwie Feuer, ich erinnerte mich, dass man mit Tüchern
das Feuer erstickt, nahm einen alten Rock und schlug Dich damit. Aber wieder
fingen die Verwandlungen an und es ging so weit, dass Du gar nicht
mehr da warst, sondern ich war es, der brannte und ich war es auch, der
mit dem Rock schlug. Aber das Schlagen half nichts und es bestätigte
sich nur meine alte Befürchtung, dass solche Dinge gegen das
Feuer nichts
ausrichten können. Inzwischen aber war die Feuerwehr gekommen und
Du wurdest doch noch irgendwie gerettet. Aber anders warst Du als früher,
geisterhaft, mit (. . .) [ein Wort unleserlich gemacht] Kreide ins
Dunkel gezeichnet und fielst mir, leblos oder vielleicht nur ohnmächtig
aus Freude über die Rettung in die Arme. Aber auch hier wirkte die
Unsicherheit der Verwandelbarkeit mit, vielleicht war ich es, der in irgendjemandes
Arme fiel.
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Jetzt war Paul Adler hier, kennst Du ihn? Wenn nur die
Besuche aufhören wollten, alle Menschen sind so ewig lebendig, wirklich
unsterblich, nicht in der Richtung der wirklichen Unsterblichkeit vielleicht,
aber in die Tiefe ihres augenblicklichen Lebens hinab. Ich habe solche
Angst vor ihnen. Jeden Wunsch möchte ich ihm von den Augen ablesen
vor Angst und aus Dankbarkeit ihm die Füße küssen wenn
er ohne Aufforderung zu einem Gegenbesuch fortgehn wollte. Allein lebe
ich noch, kommt aber ein Besuch, tötet er mich förmlich, um mich
dann durch seine Kraft wieder lebendig machen zu können, aber soviel
Kraft hat er nicht. Montag soll ich zu ihm kommen, mir schwirrt der Kopf
davon.
1] Paul Adler: Der Erzähler Paul Adler (1878-1946).
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at