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An Milena Jesenská
Es ist kein Gesetz, das mir verbietet, Dir noch zu schreiben und Dir für
diesen Brief zu danken, in dem vielleicht das Schönste steht was Du
mir hättest schreiben können, dieses: "ich weiß,
dass Du mich . . . "
Sonst aber stimmst Du mit mir schon seit langem überein, dass
wir einander jetzt nicht mehr schreiben sollen; dass ich es gerade
gesagt habe, war nur Zufall, Du hättest es ebenso gut sagen können.
Und da wir einig sind, ist es nicht nötig, zu erklären warum
das Nicht-schreiben gut sein wird.
Schlimm ist nur, dass ich dann (Du sollst von jetzt an nicht mehr
auf der Post nachfragen) keine, fast keine Möglichkeit haben werde,
Dir zu schreiben oder doch die, dass ich Dir eine Karte ohne Text
schicke, die bedeutet, dass auf der Post ein Brief liegt. Du sollst
mir immer schreiben, wenn es irgendwie nötig wird, aber das ist a
selbstverständlich.
Du erwähnst keinen Brief Vlastas. Sie hat Dir doch im Namen des Vaters
den Vorschlag gemacht, auf paar Monate in ein von Dir auszuwählendes
(allerdings in der Tschechoslowakei gelegenes) Sanatorium zu gehn. Da Du
keine Stunden bekommen hast (was nicht merkwürdig ist, das Interesse
für das Tschechische ist heuer wahrscheinlich kleiner) könntest
Du doch vielleicht den Vorschlag annehmen. Das bedeutet keinen Rat, ich
freue mich nur an der Vorstellung.
Ich habe es bei Vlasta sehr schlecht gemacht, daran ist gar kein Zweifel,
aber doch nicht so schlecht, wie es Dir im ersten Schrecken schien. Zunächst
kam ich doch nicht als ein Bittender und etwa gar in Deinem Namen. Ich
kam als ein Fremder, der Dich gut kennt, der die Verhältnisse in Wien
ein wenig gesehen hat und der nun auch noch zwei traurige Briefe von Dir
bekommen hatte. Ich gierig zwar in Deinem Interesse zu Vlasta aber zumindest
ebensosehr im Interesse des Vaters. Der nicht ganz genau ausgesprochene
aber immer deutliche Grundgedanke meiner Darstellung war: den Sieg, dass
Milena freiwillig, überzeugt demütig zurückkommt, wird der
Vater jetzt nicht erreichen, daran ist nicht zu denken, wohl aber ist es,
wie ich versichern kann, sehr leicht möglich, dass sie ihm in
einem Vierteljahr schwer krank zurückgebracht wird. Und das wird doch
wohl kein Sieg und überhaupt nichts Erstrebenswertes sein?
Das war das eine, das andere betraf das Geld. Ich stellte es genau so dar,
wie es mir erschien; gegenüber den damaligen 2 Briefen, die mir jede
weitere Oberlegungskraft nahmen, schien es mir, dass jede Rücksicht,
durch die ich hier bei Vlasta meine Erzählung fälschen lasse,
Dich dort in Wien ein Stück tiefer hinunterreißt. (Ganz genau
so war es nicht, hier spricht schon der ewig mundfertige jüdische
Verteidiger, immerhin, etwas davon war dabei.) Ich sagte also etwa: "Das
Gehalt verbraucht der Mann fast allein für sich. Daran ist nichts
auszusetzen, Milena wollte es nicht anders, sie liebt ihn so und will es
nicht anders haben, zum Teil ist es sogar ihr Werk. Jedenfalls hat sie
also abgesehen vom Mittagessen des Mannes für alles andere, zum Teil
auch noch für den Mann selbst, der bei der ungeheueren Wiener Teuerung
mit dem Gehalt auch für sich selbst nicht auskommt, zu sorgen. Nun
könnte sie das alles auch tatsächlich leisten und wäre glücklich
dabei, aber soweit war sie erst im letzten Jahr, von zuhause kam sie ja
verwöhnt, unerfahren, ohne eigentliche Kenntnis ihrer Kräfte
und Fähigkeiten. Zwei Jahre, keine lange Zeit, hat sie gebraucht,
ehe sie sich in ihre neue Lage einlebte, ehe sie die Wirtschaft vollständig
und allein versehen konnte, Unterrichtsstunden gab, in Schulen unterrichtete,
übersetzte, selbst schrieb. Das war aber wie gesagt erst im letzten
Jahr, die zwei Jahre vorher mußten Schulden gemacht werden, diese
Schulden, die ja wieder Geld kosten, sind allerdings unmöglich aus
dieser Arbeit vollständig abzuzahlen, drücken, quälen, machen
es unmöglich in Ordnung zu kommen, zwingen dazu zu verkaufen was man
hat, zwingen dazu sich zu überarbeiten (auch das Holztragen, das Koffertragen,
das Pianino, verschwieg ich nicht) zwingen dazu krank zu werden. So also
ist es."
Ich nehme keinen Abschied. Es ist kein Abschied, es wäre denn dass
die Schwerkraft, die lauert, mich ganz hinabzieht. Aber wie könnte
sie es, da Du lebst.
Mittwoch
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at