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An Milena Jesenská

[Prag, .5. September 1920]
Sonntag
 

Ist hier Milena das was Du geschrieben haben willst die Hauptsache und nicht doch das Vertrauen? Du schriebst auch einmal davon, es war in einem der letzten Briefe nach Meran, ich konnte nicht mehr antworten.

Sieh Robinson mußte sich anwerben lassen, die gefährliche Reise machen, Schiffbruch leiden und vielerlei, ich müßte nur Dich verlieren und wäre schon Robinson. Aber ich wäre mehr Robinson als er. Er hatte noch die Insel und Freitag und vielerlei und schließlich das Schiff, das ihn holte und fast alles wieder zum Traume machte, ich hätte gar nichts, nicht einmal den Namen, auch ihn habe ich Dir gegeben.

Und darum bin ich ja gewissermaßen unabhängig Dir gegenüber eben weil die Abhängigkeit so über alle Grenzen geht. Das Entweder-Oder ist zu groß. Entweder bist Du mein und dann ist es gut, oder aber Du gehst mir verloren, dann ist es nicht etwa schlecht sondern dann ist gar nichts, dann bleibt keine Eifersucht, kein Leiden, keine Bangigkeit, gar nichts. Und das ist ja gewiß etwas Lästerliches, so auf einen Menschen zu bauen und darum schleicht ja auch dort die Angst um die Fundamente, aber es ist nicht die Angst um Dich, sondern die Angst, dass überhaupt so zu bauen gewagt wird. Und darum mischt sich zur Gegenwehr (aber es war wohl auch ursprünglich) soviel Göttliches in Dein liebes irdisches Gesicht.

So jetzt hat Simson Dahla sein Geheimnis erzählt und sie kann ihm die Haare, in die sie ihm ja zur Vorbereitung schon immer gefahren ist, auch abschneiden, aber mag sie; hat sie nicht auch ein ähnliches Geheimnis, ist ja alles gleichgültig.


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Ich schlafe seit 3 Nächten ohne erkennbaren Grund sehr schlecht, Du bist doch leidlich gesund?


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Schnelle Antwort, wenn es Antwort ist, eben kommt das Telegramm. Es kam so überraschend, und außerdem offen, dass ich gar nicht Zeit hatte zu erschrecken. Wirklich, heute habe ich es irgendwie gebraucht; wie wußtest Du das? Die Selbstverständlichkeit, mit der das Notwendige von Dir kommt, immer.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at