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An Milena Jesenská
Heute kein Brief es ist ja dumm; wenn kein Brief kommt, stelle ich es aus
und wenn ein Brief kommt klage ich, aber hier darf ich es, Du weißt
ja, es ist nicht Klage weder dieses noch jenes.
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Heute war Jarmila bei mir im Bureau, ich habe sie also zum zweitenmal gesehn.
Ich weiß nicht genau, warum sie kam. Sie saß da bei meinem
Schreibtisch, wir sprachen ein wenig von dem und jenem, dann standen wir
beim Fenster, dann bei Tisch, dann setzte sie sich wieder und dann gierig
sie. Sie war mir recht angenehm, still, friedlich, einfach weniger tot
als letzthin, ein wenig gerötet, eigentlich sehr wenig hübsch,
besonders wenn sie saß, dann sogar häßlich, den Hut ungeschickt
tief ins Gesicht gedrückt. Warum sie aber kam, weiß ich nicht,
vielleicht ist sie gar zu sehr allein und da sie nichts macht, grundsätzlich
und notwendig, wird auch dieser Weg zu mir ein Teil des Nichtstuns gewesen
sein. Das ganze Beisammensein hatte auch den Charakter des Nichts, auch
die Annehmlichkeit des Nichtigen. Zum Schluß wurde es allerdings
schwieriger, denn ein Schluß ist immerhin schon etwas Wirklichkeit
und vom Nichts abgegrenztes, aber es hielt sich doch möglichst noch
vom Wirklichen weg, es hieß nur, dass ich unbestimmt einmal,
unbestimmt wann, wenn ich beim Spazierengehn in ihre Gegend komme, nachschauen
werde ob sie zu Haus ist, wegen eines kleinen Spaziergangs vielleicht.
Aber selbst dieses Unbestimmte ist noch viel zu viel und ich würde
gern darum herumkommen. Aber nun war sie schon zweimal bei mir und ist
doch nicht jemand den man einfach ohne inneren Widerstand auch nur von
der Ferne kränken wollte, was soll ich tun? Hättest Du
einen besonders guten Einfall, könntest Du mir vielleicht telegraphieren,
denn eine briefliche Antwort bekomme ich erst in 10 Tagen.
Sie erwähnte auch - mit dieser merkwürdigen leisen schwachen
Stimme - dass sie einen Brief von Dir bekommen hat. War dieser
Brief vielleicht ein Anlaß für ihr Kommen? Oder schwebt
sie immerfort ihrer Natur nach so hin- und hertastend durch die Welt? Oder
nur hinter Dir her?
Bitte schreib mir darüber, Du vergißt jetzt oft Fragen zu beantworten.
Allerdings: hlava nesnesitelně bohí [der Kopf tut unerträglich
weh]hieß es gestern. Heute früh freute ich mich über das
schöne Wetter, sah Dich schon im See, jetzt nachmittag ist es wieder
trüb.
Mittwoch
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at