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An Milena Jesenská

[Prag, 19. bis 23. August 1920]
Donnerstag
 

Ich wollte immer wieder einen andern Satz hören, als Du, diesen: jsi můj.[ Du bist mein.] Und warum gerade den? Er bedeutet doch nicht einmal Liebe, eher Nähe und Nacht.

Ja, die Lüge war groß und ich habe sie mitgelogen, aber noch ärger, im Winkel, für mich, als Unschuld.

Leider gibst Du mir immer Aufträge, die immer schon von selbst erledigt sind, wenn ich komme. Hast Du so wenig Zutrauen zu mir und willst Du mir nur ein wenig Selbstvertrauen verschaffen, dann ist es aber zu durchsichtig. Pick schreibt mir, er habe die Anfrage Frau Milena Pollaks (wer ist dieser schwere DreiSchritt?) schon vorige Woche beantwortet. Übrigens scheint er keinen Verleger zu haben, er kommt aber Ende August nach Prag und wird dann einen suchen. Letzthin habe ich das Gerücht gehört, dass Ernst Weiß schwer krank und ohne Geld ist und dass in Franzensbad eine Sammlung für ihn gemacht wurde. Weißt Du etwas davon?

Was Jarmilas Telegramm (das doch noch vor unserer Zusammenkunft abgeschickt wurde) mit mir oder gar mit Eifersucht zu tun hat, verstehe ich nicht. Mein Erscheinen scheint sie allerdings gefreut zu haben (Deinetwegen), mein Abschied aber noch viel mehr (meinetwegen oder besser ihretwegen).

Über die Verkühlung [. . .] [ca. 5 eingeklammerte Wörter unleserlich gemacht] hättest, Du doch paar Worte mehr schreiben können, stammt sie aus Gmünd oder vom Kaffeehaus-Heimweg? Hier ist übrigens augenblicklich noch schöner Sommer, auch Sonntag hat es nur in Südböhmen geregnet, ich war stolz, die ganze Welt konnte aus meinen durchregneten Kleidern erkennen, dass ich aus der Richtung Gmünd kam.


Freitag

In der Nähe gelesen versteht man diesen Jammer in dem Du augenblicklich lebst, überhaupt nicht, man muß es ein wenig ferner halten, aber auch dann geht es kaum.

Das von den Krallen hast Du mißverstanden, es war allerdings auch nicht zu verstehn. Was Du von Gmünd sagst, ist richtig und im weitesten Sinn. Ich erinnere mich z. B. dass Du mich fragtest, ob ich Dir in Prag nicht untreu gewesen bin. Es war halb Scherz halb Ernst, halb Gleichgültigkeit - wieder die 3 Hälften eben weil es unmöglich war. Du hattest meine Briefe und fragtest so. War das eine mögliche Frage? Aber nicht genug daran, jetzt machte ich es noch unmöglicher. Ich sagte, ja, ich sei Dir treu gewesen. Wie kann es geschehn, dass man so spricht? An dem Tag sprachen wir miteinander und hörten einander zu, oft und lange, wie fremde Menschen.

Mein Freund in Wien heißt zwar nicht Jeiteles, außerdem ist er gar nicht mein Freund, ich kenne ihn überhaupt nicht, es ist ein Bekannter von Max, der das Ganze vermittelt hat, aber das Inserat wird in die Presse schon irgendwie kommen, das ist ja sehr einfach durch ein hiesiges Inseratenbureau zu machen.

Jarmila war gestern gegen abend bei mir (ich weiß nicht woher sie meine jetzige Adresse kennt) ich war nicht zuhause, sie ließ einen Brief für Dich da und einen Bleistiftzettel, auf dem sie mich bat, Dir den Brief zu schicken, dass sie zwar Deine Land-Adresse habe, diese ihr aber nicht genug sicher scheine.

Vlasta habe ich noch nicht telephoniert, ich wage mich nicht recht daran, nach 9 könnte ich nur vom Bureau aus telephonieren, mitten in einem Kreis von Beamten (wir haben keine Zelle) auch telephoniere ich überhaupt so schlecht (aus Rücksicht darauf weigert sich meistens das Telephonfräulein die Verbindung herzustellen) auch habe ich ihren Familiennamen vergessen und was täte ich, wenn Dein Vater beim Telephon wäre. Ich möchte lieber ihr schreiben; das müßte wohl tschechisch sein?

Den Advokaten erwähnst Du nicht?

Mittwoch erscheint das Inserat zum erstenmal. Werden Dir Briefe, die auf das Inserat hin kommen könnten, aus Wien nachgeschickt?


Montag

Nun also, so lange hat es doch nicht gedauert, die 2 Briefe aus Salzburg habe ich bekommen, möge es in Gilgen gut werden, Herbst ist freilich schon, das läßt sich nicht leugnen. Mir ist schlecht und gut, wie man will, hoffentlich hält die Gesundheit noch ein Weilchen in den Herbst hinein aus. Über Gmünd werden wir noch schreiben oder sprechen müssen - das ist ein Teil des Schlecht-gehns - nein, so ist es durchaus nicht, eher das Gegenteil, ich werde ausführlicher darüber schreiben; [ . . .] [ca. 15 Wörter unleserlich gemacht] - Jarmilas Brief schließe ich bei. Auf ihren Besuch habe ich mit Rohrpost geantwortet, dass ich den Brief natürlich sehr gern vermitteln werde, aber nur wenn nichts Dringendes drin steht, denn Deine Adresse glaubte ich erst in einer Woche bekommen zu können. Sie hat nicht mehr geantwortet.

Wenn es möglich ist, bitte, eine Ansicht Deiner Wohnung!


am linken Rand der ersten Briefseite (Beschriftung bis abgeschickt): Hat Laurin geschrieben? Und was hat der Advokat gesagt?




1] Ernst Weiß: Der seit 1913 mit Kafka befreundete Erzähler Ernst Weiß (1882-1940), von dem sich Kafka 1917 distanziert hatte. Später erwies sich die hier erwähnte Nachricht als nur teilweise wahr. Vgl. Brief vom [2. September 1920] Donnerstag, S. 244.


2] Inserat: Kafka hatte für Milena einen Inserat-Text aufgesetzt und über das Prager Büro der Zeitung in die Wiener "Neue Freie Presse" gegeben. Milena wollte möglichst bald nach ihrer Rückkehr aus St. Gilgen in Wien mit dem Unterricht beginnen. Das Inserat, auf das Kafka noch mehrmals zu sprechen kommt, erschien zum erstenmal in der "Neuen Freien Presse", Morgenblatt, Nr. 20114 (28. 8. 1920), S. 5, und hatte folgenden Wortlaut:

Czechisch unterrichtet

akademisch gebildete

Lehrerin, Wiener Han-

dels- u. Sprachschulen,

ab 15. September.

Adr.: Frau Milena

Pollak, Lerchen-

felderstraße Nr. 113,

Tür 5

Kafka ließ es - in leicht abgewandelter Form - noch am 1., 5. u. 12. September und am 7., 10. und 14. November in der gleichen Zeitung erscheinen.


3] Vlasta: Assistentin in der Privat-Ordination Professor Jesenskýs und Vertraute von Milenas Vater.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at