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An Milena Jesenská
Ich wollte immer wieder einen andern Satz hören, als Du, diesen: jsi
můj.[ Du bist mein.] Und warum gerade den? Er bedeutet doch nicht
einmal Liebe, eher Nähe und Nacht.
Ja, die Lüge war groß und ich habe sie mitgelogen, aber noch
ärger, im Winkel, für mich, als Unschuld.
Leider gibst Du mir immer Aufträge, die immer schon von selbst erledigt
sind, wenn ich komme. Hast Du so wenig Zutrauen zu mir und willst Du mir
nur ein wenig Selbstvertrauen verschaffen, dann ist es aber zu durchsichtig.
Pick schreibt mir, er habe die Anfrage Frau Milena Pollaks (wer ist dieser
schwere DreiSchritt?) schon vorige Woche beantwortet. Übrigens scheint
er keinen Verleger zu haben, er kommt aber Ende August nach Prag und wird
dann einen suchen. Letzthin habe ich das Gerücht gehört, dass
Ernst Weiß schwer krank und ohne Geld ist und dass
in Franzensbad eine Sammlung für ihn gemacht wurde. Weißt Du
etwas davon?
Was Jarmilas Telegramm (das doch noch vor unserer Zusammenkunft abgeschickt
wurde) mit mir oder gar mit Eifersucht zu tun hat, verstehe ich nicht.
Mein Erscheinen scheint sie allerdings gefreut zu haben (Deinetwegen),
mein Abschied aber noch viel mehr (meinetwegen oder besser ihretwegen).
Über die Verkühlung [. . .] [ca. 5 eingeklammerte Wörter
unleserlich gemacht] hättest, Du doch paar Worte mehr schreiben
können, stammt sie aus Gmünd oder vom Kaffeehaus-Heimweg? Hier
ist übrigens augenblicklich noch schöner Sommer, auch Sonntag
hat es nur in Südböhmen geregnet, ich war stolz, die ganze Welt
konnte aus meinen durchregneten Kleidern erkennen, dass ich aus der
Richtung Gmünd kam.
Freitag
In der Nähe gelesen versteht man diesen Jammer in dem Du augenblicklich
lebst, überhaupt nicht, man muß es ein wenig ferner halten,
aber auch dann geht es kaum.
Das von den Krallen hast Du mißverstanden, es war allerdings auch
nicht zu verstehn. Was Du von Gmünd sagst, ist richtig und im weitesten
Sinn. Ich erinnere mich z. B. dass Du mich fragtest, ob ich Dir in
Prag nicht untreu gewesen bin. Es war halb Scherz halb Ernst, halb Gleichgültigkeit
- wieder die 3 Hälften eben weil es unmöglich war. Du hattest
meine Briefe und fragtest so. War das eine mögliche Frage? Aber nicht
genug daran, jetzt machte ich es noch unmöglicher. Ich sagte, ja,
ich sei Dir treu gewesen. Wie kann es geschehn, dass man so spricht?
An dem Tag sprachen wir miteinander und hörten einander zu, oft und
lange, wie fremde Menschen.
Mein Freund in Wien heißt zwar nicht Jeiteles, außerdem ist
er gar nicht mein Freund, ich kenne ihn überhaupt nicht, es ist ein
Bekannter von Max, der das Ganze vermittelt hat, aber das Inserat
wird in die Presse schon irgendwie kommen, das ist ja sehr einfach durch
ein hiesiges Inseratenbureau zu machen.
Jarmila war gestern gegen abend bei mir (ich weiß nicht woher sie
meine jetzige Adresse kennt) ich war nicht zuhause, sie ließ einen
Brief für Dich da und einen Bleistiftzettel, auf dem sie mich bat,
Dir den Brief zu schicken, dass sie zwar Deine Land-Adresse habe,
diese ihr aber nicht genug sicher scheine.
Vlasta habe ich noch nicht telephoniert, ich wage mich
nicht recht daran, nach 9 könnte ich nur vom Bureau aus telephonieren,
mitten in einem Kreis von Beamten (wir haben keine Zelle) auch telephoniere
ich überhaupt so schlecht (aus Rücksicht darauf weigert sich
meistens das Telephonfräulein die Verbindung herzustellen) auch habe
ich ihren Familiennamen vergessen und was täte ich, wenn Dein Vater
beim Telephon wäre. Ich möchte lieber ihr schreiben; das müßte
wohl tschechisch sein?
Den Advokaten erwähnst Du nicht?
Mittwoch erscheint das Inserat zum erstenmal. Werden Dir Briefe, die auf
das Inserat hin kommen könnten, aus Wien nachgeschickt?
Montag
Nun also, so lange hat es doch nicht gedauert, die 2 Briefe aus Salzburg
habe ich bekommen, möge es in Gilgen gut werden, Herbst ist freilich
schon, das läßt sich nicht leugnen. Mir ist schlecht und gut,
wie man will, hoffentlich hält die Gesundheit noch ein Weilchen in
den Herbst hinein aus. Über Gmünd werden wir noch schreiben oder
sprechen müssen - das ist ein Teil des Schlecht-gehns - nein, so ist
es durchaus nicht, eher das Gegenteil, ich werde ausführlicher darüber
schreiben; [ . . .] [ca. 15 Wörter unleserlich gemacht] - Jarmilas
Brief schließe ich bei. Auf ihren Besuch habe ich mit Rohrpost geantwortet,
dass ich den Brief natürlich sehr gern vermitteln werde, aber
nur wenn nichts Dringendes drin steht, denn Deine Adresse glaubte ich erst
in einer Woche bekommen zu können. Sie hat nicht mehr geantwortet.
Wenn es möglich ist, bitte, eine Ansicht Deiner Wohnung!
am linken Rand der ersten Briefseite (Beschriftung bis abgeschickt):
Hat Laurin geschrieben? Und was hat der Advokat gesagt?
1] Ernst Weiß: Der seit 1913 mit Kafka befreundete
Erzähler Ernst Weiß (1882-1940), von dem sich Kafka 1917 distanziert
hatte. Später erwies sich die hier erwähnte Nachricht als nur
teilweise wahr. Vgl. Brief vom [2. September 1920] Donnerstag, S. 244.
2] Inserat: Kafka hatte für Milena einen Inserat-Text
aufgesetzt und über das Prager Büro der Zeitung in die Wiener
"Neue Freie Presse" gegeben. Milena wollte möglichst bald
nach ihrer Rückkehr aus St. Gilgen in Wien mit dem Unterricht beginnen.
Das Inserat, auf das Kafka noch mehrmals zu sprechen kommt, erschien zum
erstenmal in der "Neuen Freien Presse", Morgenblatt, Nr. 20114
(28. 8. 1920), S. 5, und hatte folgenden Wortlaut:
akademisch gebildete
Lehrerin, Wiener Han-
dels- u. Sprachschulen,
ab 15. September.
Adr.: Frau Milena
Pollak, Lerchen-
felderstraße Nr. 113,
Tür 5
Kafka ließ es - in leicht abgewandelter Form - noch am 1., 5. u.
12. September und am 7., 10. und 14. November in der gleichen Zeitung erscheinen.
3] Vlasta: Assistentin in der Privat-Ordination
Professor Jesenskýs und Vertraute von Milenas Vater.
Donnerstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at