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An Milena Jesenská

[Prag, 13. August 1920]
Freitag
 

Ich weiß nicht genau warum ich schreibe, aus Nervosität wahrscheinlich, so wie ich früh auf den Expressbrief den ich gestern abend bekam, aus Nervosität eine ungeschickte telegraphische Antwort gegeben habe. Heute nachmittag nachdem ich mich bei Schenker erkundigt habe antworte ich dringend.


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Sonst kommt man durch diesen Briefwechsel über diesen Gegenstand immer wieder zu dem Schluß, dass Du durch eine geradezu sakramentale unlösliche Ehe (wie nervös ich bin, mein Schiff muß irgendwie sein Steuer verloren haben in den letzten Tagen) mit Deinem Mann verbunden bist und ich durch eine ebensolche Ehe mit - ich weiß nicht mit wem, aber der Blick dieser schrecklichen Ehefrau liegt oft auf mir, das fühle ich. Und das Merkwürdige ist dass, trotzdem jede dieser Ehen unlöslich ist also eigentlich nichts mehr darüber zu sagen ist, trotz allem die Unlöslichkeit der einen Ehe die Unlöslichkeit der andern bildet oder wenigst kräftigt und umgekehrt. Aber bestehn bleibt doch nur das Urteil wie Du es hinschreibst: nebude toho nikdy [es wird nie sein (geschehen)], und wir wollen nie mehr von der Zukunft nur von der Gegenwart sprechen.


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Diese Wahrheit ist unbedingt, unerschütterlich, die Säule auf der die Welt ruht und doch gestehe ich, dass im Gefühl nur im Gefühl, die Wahrheit aber bleibt, bleibt unbedingt. Weißt Du wenn ich so etwas hinschreiben will wie das folgende, nähern sich schon die Schwerter, deren Spitzen im Kranz mich umgeben, langsam dem Körper, es ist die vollkommenste Folter; wenn sie mich zu ritzen anfangen, ich rede nicht vom einschneiden, wenn sie mich also nur zu ritzen anfangen ist es schon so schrecklich dass ich sofort, im ersten Schrei, alles verrate, Dich, mich, alles.] gestehe ich also nur unter dieser Voraussetzung, dass ein solcher Briefwechsel über diese Dinge mir im Gefühl (ich wiederhole um meines Lebens willen: nur im Gefühl) so vorkommt, wie wenn ich irgendwo in Central-afrika leben würde und mein ganzes Leben lang dort gelebt hätte und Dir die Du in Europa lebst, mitten in Europa, meine unerschütterlichen Meinungen über die nächste politische Gestaltung mitteilen würde. Aber nur ein Vergleich ist es, ein dummer, ungeschickter, falscher, sentimentaler, kläglicher, absichtlich blinder Vergleich ist es, nichts anderes, bitte, ihr Schwerter!


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Du hast recht den Brief Deines Mannes mir zu citieren, ich verstehe zwar nicht alles genau (aber schicke mir den Brief nicht) aber das sehe ich, dass hier ein "lediger" Mann schreibt, der "heiraten" will. Was bedeutet seine gelegentliche "Untreue" die nicht einmal Untreue ist, denn ihr bleibt auf dem gemeinsamen Weg, nur innerhalb dieses Wegs geht er ein wenig links, was bedeutet diese "Untreue", die außerdem nicht aufhört in Dein tiefstes Leid auch tiefstes Glück auszuströmen, was bedeutet diese "Untreue" gegen meine ewige Gebundenheit!


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Hinsichtlich Deines Mannes habe ich Dich nicht mißverstanden. Alles Geheimnis Eueres unzerreißbaren Zusammenhaltes, dieses reiche unausschöpfbare Geheimnis gießt Du immer wieder in die Sorge um seine Stiefel. Darin quält mich etwas, ich weiß nicht genau was. Das ist ja sehr einfach; wenn Du fortgehen solltest, wird er entweder mit einer andern Frau leben oder in eine Pension gehe und seine Stiefel werden besser geputzt sein als jetzt. Das ist dumm und nicht dumm, ich weiß nicht, was mich in diesen Bemerkungen so quält. Vielleicht weißt Du es.


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Bei Laurin war ich gestern, er war nicht in der Redaktion, heute habe ich telephonisch mit ihm gesprochen, ihn gerade in der Korrektur eines Aufsatzes von Dir gestört. Er sagt er habe gestern Deinem Mann geschrieben, dieser solle sich direkt an Masaryks Sekretär, einen Bekannten Laurins wenden. - Pick habe ich gestern nach Haindorf-Ferdinandstal geschrieben. Den Geburtstag hättest Du nicht verdorben haben müssen, wenn Du mir früher um das Geld geschrieben hättest. Ich bringe es mit. - Aber vielleicht sehn wir uns gar nicht, es wäre bei dieser Verwirrung leicht möglich.

Das ist es auch. Du schreibst von den Menschen die einen gemeinsamen Abend und Morgen haben und jenen, die das nicht haben. Eben die Lage der letzteren scheint mir günstiger. Sie haben etwas Schlimmes getan, gewiß oder vielleicht, und der Schmutz dieser Szene kommt, wie Du richtig sagst, wesentlich aus ihrem Fremdsein und es ist irdischer Schmutz sowie der Schmutz in einer niemals bewohnten und plötzlich wild aufgerissenen Wohnung. Das ist also schlimm, aber es ist nichts Entscheidendes geschehn, nichts was förmlich im Himmel und auf der Erde entscheidet, es ist wirklich nur ein "Spiel mit einem Ball" wie Du es nennst. Es ist so wie wenn Eva den Apfel (manchmal glaube ich, ich verstehe den Sündenfall wie kein Mensch sonst) zwar abgerissen hätte, aber nur um ihn Adam zu zeigen, weil er ihr gefallen hat. Das Hineinbeißen war das Entscheidende, das Mit-ihm-spielen war zwar nicht erlaubt, aber auch nicht verboten.




1] Schenker: Wahrscheinlich die Erledigung einer der Aufträge Milenas bei der Spedition Schenker & Co. in Prag.


2] Masaryks Sekretär: Der Sekretär des ersten Präsidenten 216 der tschechoslowakischen Republik, Tomáš G. Masaryk; Arne Laurins unmittelbarer Vorgesetzter, Bedřich Hlaváč, der Gründer und Leiter der "Tribuna", war mit Masaryk befreundet.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at