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An Milena Jesenská
Eines stört mich seit jeher in Deiner Argumentation, im letzten Brief
ist es besonders klar, es ist ein unzweifelhafter Fehler, auf den hin Du
Dich ja prüfen kannst: Wenn Du sagst, dass Du (wie es ja auch
wahr ist) Dei nen Mann so liebst, dass Du ihn nicht verlassen kannst
(schon mir zuliebe nicht, ich meine: das wäre ja für mich entsetzlich,
wenn Du es trotzdem tätest) so glaube ich es und gebe Dir recht. Wenn
Du sagst, dass Du ihn zwar verlassen könntest, er aber Dich innerlich
braucht und ohne Dich nicht leben kann, dass Du ihn also deshalb nicht
verlassen kannst, so glaube ich es auch und gebe Dir auch recht. Wenn Du
aber sagst, dass er äußerlich mit dem Leben ohne Dich nicht
fertig werden kann und dass Du ihn deshalb (dies zu einem Hauptgrund
gemacht) deshalb nicht verlassen kannst, dann ist das entweder zum Verdecken
der früher genannten Gründe gesagt (nicht zur Verstärkung,
denn Verstärkung brauchen jene Gründe nicht) oder aber, es ist
nur einer jener Späße des Gehirns (von denen Du im letzten Briefe
schreibst) (. . .) [ein Wort unleserlich gemacht] unter denen sich
der Körper und nicht nur der Körper windet.
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Montag
Gerade wollte ich Dir noch etwas in den Gedankengängen des Vorigen
schreiben, da kamen 4 Briefe, übrigens nicht auf einmal, zuerst der,
in dem Du bedauerst mir von der Ohnmacht geschrieben zu haben, ein Weilchen
später der, den Du gleich nach der Ohnmacht geschrieben hast zusammen
mit dem, nun mit dem der sehr schön ist und noch nach einem Weilchen
der Brief der von Emilie handelt. Ihre Reihenfolge erkenne ich nicht ganz
genau, Du schreibst nicht mehr die Tage.
Ich werde also die Frage "strach - touha" ["Angst - Sehnsucht"]
beantworten, auf einmal wird es kaum gelingen, aber komme ich in mehreren
Briefen nochmals darauf zurück, wird es vielleicht gehn. Eine gute
Voraussetzung wäre es auch wenn Du meinen (im übrigen schlechten,
unnötigen) Vaterbrief kennen würdest. Vielleicht
nehme ich ihn nach Gmünd mit.
Wenn man "strack" und "touha" so einschränkt,
wie Du es im letzten Brief tust, dann ist die Frage nicht leicht, aber
sehr einfach zu beantworten. Dann habe ich nur "strack".
Und das ist so:
Ich erinnere mich an die erste Nacht. Wir wohnten damals in der Zeltnergasse,
gegenüber war ein Konfektionsgeschäft, in der Tür stand
immer ein Ladenmädchen, oben wanderte ich, etwas über 20 Jahre
alt, unaufhörlich im Zimmer auf und ab mit dem nervenspannenden Einlernen
für mich sinnloser Dinge zur ersten Staatsprüfung beschäftigt.
Es war im Sommer, sehr heiß, diese Zeit wohl, es war ganz unerträglich,
beim Fenster blieb ich, die widerliche römische Rechtsgeschichte zwischen
den Zähnen, immer stehn, schließlich verständigten wir
uns durch Zeichen. Am Abend um 8 Uhr sollte ich sie abholen, aber als ich
abend hinunterkam, war schon ein anderer da, nun das änderte nicht
viel, ich hatte vor der ganzen Welt Angst, also auch vor diesem Mann; wenn
er nicht da gewesen wäre, hätte ich auch Angst vor ihm
gehabt. Aber das Mädchen hängte sich zwar in ihn ein, aber machte
mir Zeichen, dass ich hinter ihnen gehen solle. So kamen wir auf die
Schützeninsel, tranken dort Bier, ich am Nebentisch, gingen dann,
ich hinterher, langsam zur Wohnung des Mädchens, irgendwo beim Fleischmarkt,
dort nahm der Mann Abschied, das Mädchen lief ins Haus, ich wartete
ein Weilchen, bis sie wieder zu mir herauskam und dann giengen wir in ein
Hotel auf der Kleinseite. Das alles war, schon vor dem Hotel, reizend,
aufregend und abscheulich, im Hotel war es nicht anders. Und als wir dann
gegen Morgen, es war noch immer heiß und schön, über die
Karlsbrücke nachhause giengen, war ich allerdings glücklich,
aber dieses Glück bestand nur darin, dass ich endlich Ruhe hatte
vor dem ewig jammernden Körper, vor allem aber bestand das Glück
darin, dass das Ganze nicht noch abscheulicher, nicht noch
schmutziger gewesen war. Ich war dann noch einmal mit dem Mädchen
beisammen, ich glaube, 2 Nächte später, es war alles so gut wie
zum erstenmal, aber als ich dann gleich in die Sommerfrische fuhr, draußen
ein wenig mit einem Mädchen spielte, konnte ich in Prag das Ladenmädchen
nicht mehr ansehn, kein Wort habe ich mehr mit ihr gesprochen, sie war
(von mir aus gesehn) meine böse Feindin und war doch ein gutmütiges
freundliches Mädchen, immerfort verfolgte sie mich mit ihren nichts
verstehenden Augen. Ich will nicht sagen, dass der alleinige Grund
meiner Feindschaft (sicher war er es nicht) der gewesen ist, dass
das Mädchen im Hotel in aller Unschuld eine winzige Abscheulichkeit
gemacht hat (nicht der Rede wert), eine kleine Schmutzigkeit gesagt hat
(nicht der Rede wert), aber die Erinnerung blieb, ich wußte im gleichen
Augenblick, dass ich das nie vergessen werde und gleichzeitig wußte
ich oder glaubte es zu wissen, dass dieses Abscheuliche und Schmutzige,
äußerlich gewiß nicht notwendig, innerlich aber sehr notwendig
mit dem Ganzen zusammenhänge und dass mich gerade dieses Abscheuliche
und Schmutzige (dessen kleines Zeichen mir ihre kleine Handlung, ihr kleines
Wort gewesen war) mit so wahnsinniger Gewalt in dieses Hotel gezogen hatte,
dem ich sonst ausgewichen wäre mit meiner letzten Kraft.
Und so wie es damals war, blieb es immer. Mein Körper, oft jahrelang
still, wurde dann wieder geschüttelt bis zum Nicht-ertragen-können
von dieser Sehnsucht nach einer kleinen, nach einer ganz bestimmten Abscheulichkeit,
nach etwas leicht Widerlichem, Peinlichem, Schmutzigen, noch in dem Besten,
was es hier für mich gab war etwas davon, irgendein kleiner schlechter
Geruch, etwas Schwefel, etwas Hölle. Dieser Trieb hatte etwas vom
ewigen Juden, sinnlos gezogen sinnlos wandernd durch eine sinnlos schmutzige
Welt.
Dann aber gab es auch Zeiten, wo der Körper nicht still war, wo überhaupt
gar nichts still war, wo ich aber trotzdem unter gar keinem Zwang war,
es war ein gutes, ruhiges, nur durch Hoffnung beunruhigtes (kennst Du eine
bessere Unruhe?) Leben. In diesen Zeiten, soweit sie nur irgendeine Dauer
hatten, war ich immer allein. Zum erstenmal in meinem Leben gibt es jetzt
solche Zeiten, in denen ich nicht allein bin. Darum ist nicht
nur Deine körperliche Nähe sondern Du selbst beruhigend-beunruhigend.
Darum habe ich keine Sehnsucht nach Schmutz (in der ersten Meraner Hälfte
machte ich gegen meinen offenen Willen Tag und Nacht Pläne, wie ich
mich des Stubenmädchens bemächtigen könnte (noch Ärgeres),
gegen das Meraner Ende zu lief mir ein sehr williges Mädchen in die
Hände, ich mußte mir ihre Worte gewissermaßen erst in
meine Sprache übersetzen um sie überhaupt verstehn zu können)
ich sehe förmlich auch keinen Schmutz, nichts derartiges, was von
außen reizt, ist da, aber alles, das von innen Leben bringt, kurz,
etwas von der Luft ist da, die man im Paradies vor dem Sündenfall
geatmet hat. Nur etwas von dieser Luft, daher fehlt " touha",
nicht jene ganze Luft, daher gibt es " Angst". - Nun weißt
Du es also. Und darum hatte ich zwar "Angst" vor einer Gmündener
Nacht, aber nur die übliche "Angst" (ach, es genügt
die übliche) die ich auch in Prag habe, keine besondere Gmündner
Angst.
Und nun erzähl von Emilie, ich kann den Brief noch in Prag bekommen.
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Heute lege ich nichts bei, erst morgen. Dieser Brief ist doch wichtig,
ich will, dass Du ihn ungefährdet bekommst.
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Die Ohnmacht, es ist nur ein Zeichen unter andern. Bitte, komm nach Gmünd
bestimmt. Wenn es Sonntag früh regnet, dann kannst Du nicht kommen?
(. . .)[4 Wörter unleserlich gemacht] Nun ich bin also jedenfalls
Sonntag vormittag vor dem Gmündner Bahnhof. Du brauchst doch wohl
keinen Paß? Hast Du Dich schon erkundigt? Brauchst Du etwas, was
ich Dir mitbringen könnte? Mit Deiner Erwähnung Stašas meinst
Du, dass ich zu ihr gehn soll? Sie ist aber doch kaum in Prag. (Wenn
sie in Prag ist, ist es natürlich noch schwieriger zu ihr zu gehn.)
Ich warte damit bis zur nächsten Erwähnung, oder bis Gmünd.
Staša sagte es übrigens, soweit ich mich erinnere, als etwas
ganz Selbstverständliches, ja, Dein Vater und Dein Mann hätten
mit einander gesprochen und öfters.
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Die Bemerkung über Laurin (was für ein Gedächtnis!
- das ist nicht Ironie sondern Eifersucht und nicht Eifersucht, sondern
dummer Spaß) hast Du mißverstanden. Es war mir nur auffallend,
dass alle Leute, von denen er sprach, entweder "Dummköpfe"
oder "Gauner" oder "Fensterspringerinnen" waren,
während Du einfach Milena undzwar eine sehr respektable warst. Das
freute mich und deshalb habe ich Dir davon geschrieben und nicht etwa weil
es Deine, sondern weil es seine Ehrenrettung war. Übrigens gab es,
um genau zu sein, auch noch paar andere Ausnahmen, sein damals künftiger
Schwiegervater, seine Schwägerin, sein Schwager, der frühere
Bräutigam seiner Braut, alle die waren aufrichtig "herrliche"
Menschen, [ . . . }[etwa 3 Zeilen unleserlich gemacht]
So traurig ist Dein heutiger Brief und vor allem so versperrt hat er seinen
Schmerz in sich, dass ich mir ganz ausgeschlossen vorkomme. Muß
ich einmal aus meinem Zimmer weggehn, laufe ich die Treppen hinauf, herunter
um nur wieder dort zu sein und auf dem Tisch das Telegramm zu finden: "Auch
ich bin Samstag in Gmünd". Aber es ist noch nichts gekommen.
am oberen und am rechten Rand der ersten Briefseite (Beschriftung bis
unter denen sich der): Dank für die Marken, so ist es wenigstens
erträglich, aber der Mann arbeitet nichts schaut nur entzückt
die Marken an, wie ich ein Stock tiefer die Briefe, z. B. die 10 h Marken
gibt es auf steifem und auf dünnem Papier, die auf dünnem sind
seltener, Du hast heute, Gute, die dünnen geschickt.
am linken und am oberen Rand der letzten Briefseite (Beschriftung ab
wohl keinen Paß): Du kommst gleich nach 9 Uhr, laß Dich als
Österreicherin nicht von der Zollrevision aufhalten, ich kann doch
nicht stundenlang den Satz für mich aufsagen, mit dem ich Dich begrüßen
will.
1] Vaterbrief:- Vgl. Brief vom [21. Juni 1920],
Anm. 1.
2] Bemerkung über Laurin: Vgl. Brief vom [18.
Juli 1920] Sonntag, S.124f., in dem Kafka über sein Gespräch
mit Arne Laurin berichtet hatte.
Sonntag abend
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at