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An Milena Jesenská
Jetzt gegen 10 Uhr abends war ich im Bureau, das Telegramm war da, so schnell,
fast könnte ich zweifeln, dass es die Antwort auf mein gestriges
Telegramm ist, aber es steht doch da: abgeschickt am 4 VIII 11 Uhr vormittags.
Es ist sogar um 8 Uhr schon dagewesen, hat also nur 8 Stunden gebraucht.
Das ist eine der Tröstungen die das Telegramm zu sich selbst gibt,
dass wir doch örtlich genug nah beisammen sind: in fast 24 Stunden
kann ich Deine Antwort haben. Und diese Antwort muß doch nicht immer
sein: fahre nicht.
Eine kleinste Möglichkeit bleibt noch; vielleicht hast Du meinen Brief
noch nicht bekommen, in dem ich Dir erklärte, dass Du keine Nacht
von Wien wegbleiben mußt und doch nach Gmünd fahren kannst.
Aber das mußt Du ja auch selbst herausgefunden haben. Immerhin denke
ich noch nach, ob ich mir auf diese winzige Möglichkeit hin das nur
30 Tage (Deine Urlaubsreise) geltende Visum geben und die Schnellzugskarte
jedenfalls sichern lassen soll.
Ich werde es aber wohl nicht tun, das Telegramm ist so bestimmt, Du hast
jedenfalls unmöglich zu überwindende Bedenken gegen die Reise.
Nun sieh Milena es macht ja nichts, ich selbst hätte mich ja gar nicht
(allerdings nur deshalb weil ich nicht ahnte wie einfach die Zusammenkunftsmöglichkeit
ist) zu dem tätigen Wunsch verstiegen, Dich "schon" nach
4 Wochen sehn zu wollen; wären wir zusammengekommen, hätte ich
es ja ausschließlich Dir verdankt und Du hast also (abgesehen davon
dass es, wenn Du nicht kommst, unbedingt so sein muß, das weiß
ich) auch von daher das Recht diese Möglichkeit, die von Dir geschaffen
ist, zu streichen, darüber müßte ich ja gar nicht schreiben,
es ist nur das, dass man diesen schmalen Weg aus der dunklen Wohnung
hinaus zu Dir mit solcher Freude geprobt hat und dass sich allmählich
alles was man ist mit hineingeworfen hat in diesen vielleicht (die Narrheit
sagt gleich: gewiß! gewiß! gewiß!) zu Dir führenden
Gang, der aber plötzlich statt an Dich an den undurchdringlichen [.
. .] [ca. 5 Wörter unleserlich gernacht] Stein Bitte-fahre-nicht
stößt, so dass man jetzt wieder mit allem was man ist,
diesen Gang, den man so schnell gegraben hat, [. . .] [ ein Wort unleserlich
gemacht langsam zurückwandern und zuschütten muß. Also
das schmerzt ein wenig, aber kann schon, da man so umständlich darüber
zu schreiben imstande ist, nicht sehr schlimm sein. Am Ende macht man schon
wieder neue Gänge, man, alter Maulwurf.
Viel schlimmer ist, dass die Zusammenkunft aus Gründen, die ich
gestern, glaube ich, angedeutet habe, sehr wichtig gewesen wäre. In
dieser Hinsicht kann sie durch nichts ersetzt werden und deshalb eigentlich
bin ich traurig wegen des Telegramms. Aber vielleicht steht in Deinem Übermorgen-brief
ein Trost dazu.
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Nur eine Bitte habe ich: In Deinem heutigen Brief stehn zwei sehr harte
Sätze. Der erste (a ty neprijedeš poněvadž čekáš
až to Tobě jednou bude nutně, to, abys přijel)
[und Du kommst nicht, weil Du wartest, dass es Dir einmal nötig
sein wird, dass Du kommst]. hat ja einige Berechtigung, der zweite
(Měj se pěkně Franku - es folgt dann, damit Du den Klang
des Satzes hören kannst: telegrafovat ti ten falešný telegram
nemá tedy smyslu, neposílám ho. Gehab Dich wohl, Frank
[. . .:] es hat also keinen Sinn, Dir das falsche Telegramm zu telegraphieren,
ich schicke es also nicht. Warum hast Du es doch geschickt?) dieses Měj
se pěkně Franku hat gar keine Berechtigung. Das sind die Sätze.
Könntest Du Milena sie irgendwie zurücknehmen, ausdrücklich
zurücknehmen, den ersten, wenn Du willst, nur zu einem Teil, den zweiten
aber ganz?
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Den Brief des Vaters habe ich heute früh beizuschließen vergessen,
verzeih. Übrigens habe ich auch übersehn, dass es seit 3
Jahren der erste Brief ist, nun verstehe ich erst seinen Eindruck auf Dich.
Dadurch wird aber allerdings auch Dein Brief an den Vater viel bedeutender,
es muß doch grundsätzlich Neues darin gewesen sein.
Nebenbei: Ich hatte Dich immer dahin mißverstanden, dass Dein
Vater und Dein Mann niemals mit einander gesprochen haben. Staša aber
erwähnte, dass sie öfters mit einander gesprochen haben.
Was mag da wohl gesprochen worden sein?
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Ja, noch ein dritter Satz steht in Deinem Brief, der vielleicht noch mehr
gegen mich gerichtet ist, als die angeführten. Der Satz von dem magen-verderbenden
Zuckerzeug.
Donnerstag
Heute ist also, und überdies unerwartet, der solange schon gefürchtete
brieflose Tag. So ernst war also Dein Montagsbrief gemeint, dass Du
nächsten Tag nicht schreiben konntest. Nun ich habe doch Dein Telegramm
als Halt.
am linken Rand der zweiten Briefseite (Beschriftung von ich selbst
bis schon, da): Ich bin gar nicht gegen Deine Urlaubsreise. Wie
könnte ich das sein und warum glaubst Du das?
Mittwoch abend
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at