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An Milena Jesenská

[Prag, 23. Juli 1920]
Freitag
 

Nein, also es war wirklich nicht so schlimm. Und dann, wie soll sich die Seele anders als durch ein wenig Bosheit von einer Last befreien? Und außerdem halte ich auch heute fast alles für richtig was ich schrieb. Manches hast Du mißverstanden, z. B. das von dem einzigen Leiden; denn Deine Selbstquälerei ist dieses einzige Leiden, doch nicht Deine Briefe, die mir jeden Morgen die Kraft geben den Tag zu überstehn und so gut zu überstehn, dass ich auf keinen einzigen (dieser Briefe, das ist selbstverständlich, aber auf keinen einzigen) dieser Tage verzichten wollte. Und die Briefe auf dem Vorzimmertisch widerlegen mich doch gar nicht, schon die Möglichkeit diese Briefe zu schreiben und hinzulegen, war etwas. Und eifersüchtig bin ich gar nicht, glaube mir, aber dass es überflüssig wäre, eifersüchtig zu sein, ist wirklich schwer einzusehn.

Nicht eifersüchtig zu sein gelingt mir immer, die Überflüssigkeit der Eifersucht einzusehn, aber nur manchmal. Ja, noch die "Retter". Das Eigentümliche der "Retter" ist nämlich - und es geschieht ihnen recht, ich stehe abseits und freue mich darüber d. h. nicht über den einzelnen Fall freue ich mich, aber über diese Weltgesetzlichkeit - dass sie das, was sie herausziehn wollten, mit tierischem Ernst hineinhämmern.

Nun habe ich also endlich Max etwas zu erzählen, Dein allerdings etwas kurzes Urteil über sein großes Buch. Er fragt nämlich immerfort nach Dir und wie es Dir geht und was geschieht und alles kümmert ihn im Herzen. Aber ich kann ihm fast gar nichts sagen, glücklicher Weise verwehrt es schon die Sprache. Ich kann doch nicht von irgendeiner Milena in Wien erzählen und dann fortfahren, dass "sie" dies und jenes meint und sagt und tut. Du bist doch weder "Milena" noch "sie", das ist blanker Unsinn, also kann ich gar nichts sagen. Das ist so selbstverständlich, dass es mir nicht einmal leid tut.

Ja mit fremden Menschen über Dich reden das kann ich allerdings und das ist auch ein auserlesenes Vergnügen. Würde ich mir dabei erlauben noch ein wenig Komödie zu spielen, wozu es sehr lockt, wäre das Vergnügen noch größer. Letzthin traf ich Rudolf Fuchs. Ich habe ihn gern, aber so groß wäre die Freude ihn zu treffen sonst gewiß nicht gewesen und die Hand hätte ich ihm auch nicht so gemein fest gedrückt. Und dabei wußte ich ja, das Ergebnis werde nicht sehr groß sein, aber mag es auch klein sein, dachte ich. Das Gespräch gierig sofort auf Wien über und auf die Gesellschaft in der er dort verkehrt hatte. Es interessierte mich sehr Namen zu hören, er begann aufzuzählen, nein, so meinte ich es nicht, die Frauen wollte ich nennen hören. "Ja, da war also Milena Pollak, die Sie doch kennen." "Ja, Milena" wiederholte ich und sah die Ferdinandsstraße hinunter, was sie dazu sagen würde. Dann kamen noch andere Namen, ich bekam wieder den alten Husten und das Gespräch verlor sich. Wie ihm wieder aufhelfen? "Können Sie mir sagen in welchem Kriegsjahr ich in Wien war?" "1917" "War damals Ernst Pollak noch nicht in Wien? Ich habe ihn damals nicht gesehn. War er noch nicht verheiratet?" "Nein." Schluß. Nun hätte ich mir ja noch ein wenig von Dir erzählen lassen können, aber ich hatte nicht die dazu nötige Kraft.


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Wie hältst Du es mit den Tabletten jetzt und in letzter Zeit? Zum erstenmal schreibst Du wieder von Kopfschmerzen.

Was hat eigentlich Jarmila auf Deine Einladung geantwortet?

Könntest Du mir paar Worte über den Pariser Plan sagen?

Wohin wirst Du jetzt fahren? (Ein Ort mit guter Postverbindung?) Wann? Für wie lange? 6 Monate?

Nenn mir immer gleich die Hefte, in denen etwas von Dir erscheint.

Wie hättest Du das eigentlich eingerichtet, die 2tägige Prager Reise? (Frage aus bloßer Neugierde)

Danke für das Trotzdem, ein Zauberwort das mir unmittelbar ins Blut eingeht.




1] Rudolf Fuchs: Rudolf Fuchs (1890-1942), Vermittler zwischen deutscher und tschechischer Literatur, übersetzte u. a. die "Schlesischen Lieder" von Petr Bezruč. Er gehörte zu dem literarischen Kreis um Willy Haas und Franz Werfel, dessen Mitglieder häufig im "Cafe Arco" zusammenkamen. Kafka lernte ihn etwa 1912 kennen. Vgl. seine "Erinnerungen an Franz Kafka", in: Max Brod, "Franz Kafka. Eine Biographie", 3. erw. Aufl. (New York bzw. Berlin, Frankfurt: S. Fischer, 1954), S. 327-330.


2] Pariser Plan: Vgl. Brief vom [19. Juli 1920], Anm. 1.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at