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An Milena Jesenská
Es hat doch gewisse Ergebnisse, wenn man den Mut hat:
Zunächst: Groß hat vielleicht doch nicht unrecht soweit ich
ihn verstehe; es spricht für ihn zumindest dass ich noch lebe
und sonst bei der Art meiner innern Kräfteverteilung eigentlich längst
nicht mehr leben dürfte.
Dann: Wie es später werden mag, davon ist nicht die Rede, sicher ist
nur dass ich fern von Dir nicht anders leben kann als dass
ich der Angst vollständig recht gebe, mehr recht gebe als sie will
und ich tue es ohne Zwang, mit Entzücken, ich gieße mich in
sie aus.
Du hast recht im Namen der Angst mir Vorwürfe zu machen wegen meines
Verhaltens in Wien, aber sie ist darin wirklich sonderbar, ihre innern
Gesetze kenne ich nicht, nur ihre Hand an meiner Gurgel kenne ich und das
ist wirklich das Schrecklichste was ich jemals erlebt habe oder erleben
könnte.
Es ergibt sich dann vielleicht, dass wir jetzt beide verheiratet sind,
Du in Wien, ich mit der Angst in Prag und dass nicht nur Du sondern
auch ich vergeblich an unserer Ehe zerren. Denn sieh, Milena, (. . .)[ein
Wort unleserlich gemacht] wärest Du von mir in Wien ganz überzeugt
gewesen (übereinstimmend bis in den Schritt, von dem Du nicht
überzeugt warst) Du wärest nicht mehr in Wien trotz allem, oder
vielmehr es gäbe kein "trotz allem", Du wärest einfach
in Prag und alles womit Du Dich in Deinem letzten Brief tröstest,
ist eben nur Trost. Glaubst Du nicht?
Wärest Du gleich nach Prag gekommen oder hättest Dich wenigstens
gleich dafür entschieden, so wäre das ja mir kein Beweis für
Dich gewesen, ich brauche keine Beweise für Dich, Du bist mir über
alles klar und sicher, aber es wäre ein großer Beweis für
mich gewesen und der fehlt mir jetzt. Auch davon nährt sich bei
Gelegenheit die Angst.
Ja es ist vielleicht noch ärger und gerade ich, der "Retter"
halte Dich in Wien fest, wie niemand bisher.
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So das war das Gewitter, das im Wald immerfort drohte, aber es gierig uns
doch gut. Leben wir weiter unter seinen Drohungen, da es nicht anders geht.
dass in der Tribuna eine Übersetzung erschienen
ist, telephonierte Laurin, da Du es aber nicht erwähnt hattest wußte
ich nicht ob Du es gelesen haben wolltest und ich habe es also noch nicht
gelesen. Jetzt werde ich es mir zu verschaffen suchen.
Was Du gegen den Brief des Fräuleins hast, verstehe
ich nicht. Seinen Zweck Dich ein wenig eifersüchtig zu machen hat
er doch erfüllt, nun also? Nächstens werde ich von Zeit zu Zeit
solche Briefe erfinden und selbst schreiben, noch besser als jenen und
ohne schließliche Abweisung.
Bitte, paar Worte über Deine Arbeiten! Cesta? Lipa? Kmen?
Politika?
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Noch irgendetwas wollte ich sagen, aber wieder war ein junger
Dichter hier - ich weiß nicht, sofort wenn jemand kommt, erinnere
ich mich an meine Akten und kann während des ganzen Besuches an nichts
anderes denken - ich bin müde, weiß nichts, und wollte nichts
als mein Gesicht in Deinen Schooß legen, Deine Hand auf meinem Kopf
fühlen und so bleiben durch alle Ewigkeiten
Dein
Da, das wollte ich noch sagen: es steht eine große Wahrheit (unter
andern Wahrheiten) in Deinem Brief: že vlastně ty jsi člověk
který nemá tušení o tom. . .[dass eigentlich
Du der Mensch bist, der keine Ahnung davon hat...]. Das ist Wort für
Wort wahr. Alles war nur Schmutz, kläglichste Abscheulichkeit, höllenmäßiges
Versinken und darin stehe ich wirklich vor Dir wie ein Kind, das etwas
sehr Böses getan hat und nun steht es vor der Mutter und weint und
weint und tut ein Gelübde: ich werde es nie mehr tun. Aber aus alledem
nimmt ja die Angst ihre Kraft: "Eben, eben!" sagt sie "nemá
tušení! [hat keine Ahnung!] - Es ist noch nichts geschehn!
Also-kann-er-noch-gerettet-werden! "
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Ich fahre auf. Das Telephon! Zum Direktor! Das erstemal seitdem ich in
Prag bin, in Dienstsachen hinuntergerufen! Jetzt kommt endlich der ganze
Schwindel heraus. Seit 18 Tagen nichts gemacht, als Briefe geschrieben,
Briefe gelesen, vor allem aus dem Fenster geschaut, Briefe in der Hand
gehalten, hingelegt, wieder aufgenommen, dann auch Besuche gehabt und sonst
nichts. Aber als ich hinunterkomme, ist er freundlich, lächelt, erzählt
etwas Amtliches das ich nicht verstehe, nimmt Abschied, weil er auf Urlaub
geht, ein unbegreiflich guter Mensch (Allerdings habe
ich undeutlich gemurmelt, dass ich fast alles schon fertig habe und
morgen zu diktieren anfange). Und nun berichte ich das noch schnell meinem
guten Geist. Merkwürdigerweise liegt auf seinem Tisch noch immer mein
Wiener Brief, darauf noch ein Wiener Brief, undeutlich glaubte ich zuerst
fast, es gehe um Dich.
1] eine Übersetzung: Wahrscheinlich Milenas
Übersetzung von Kafkas "Unglücklichsein" ["Nešt'astný"]
in der "Tribuna", II. Jg., Nr. 166 (16.7. 1920), S. 1 f. Kafkas
Bemerkung, er habe nicht gewußt, ob sie es "gelesen haben"
wollte, deutet darauf hin, dass es sich um eine Übersetzung seines
Textes handelt.
2] Brief des Fräuleins: Wahrscheinlich das
im Brief vom [23. Juli 1920], S. 141, nochmals erwähnte "Mädchen"
, eine entfernte Verwandte Kafkas.
3] Cesta? Lípa? Kmen? Politika?: Titel tschechischer
Zeitschriften, für die Milena gelegentlich Artikel schrieb oder übersetzte.
4] ein junger Dichter: Vermutlich der damals siebzehnjährige
Gustav Janouch, der ihn des öfteren in seinem Büro in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt
aufsuchte; Janouchs Vater war ein Kollege Kafkas in der Anstalt. Vgl. G.
Janouch, "Gespräche mit Kafka", (Frankfurt am Main: S.
Fischer, 1951).
5] ein unbegreiflich guter Mensch: Kafkas Direktor
seit 1919, Dr. Bedřich Odstčil, der ihn sehr schätzte und
zu dem er, wie schon zu seinem früheren Direktor, Dr. Robert Marschner,
in einem besonders guten Verhältnis stand. Vgl. "Briefe",
S. 308.
Mittwoch
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at