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An Milena Jesenská
Ich wollte mich vor Dir auszeichnen, Willenskraft zeigen, mit dem Brief
an Dich warten, zuerst einen Akt erledigen, aber das Zimmer ist leer, niemand
kümmert sich um mich, es ist als sagte man: laßt ihn, seht ihr
nicht wie ihn seine Sache erfüllt, es ist als hätte er eine Faust
im Mund. So habe ich nur eine halbe Seite geschrieben und bin wieder bei
Dir, liege über dem Brief, wie ich neben Dir lag damals im Walde.
Heute kam kein Brief, aber ich habe keine Angst, bitte Milena mißverstehe
mich nicht, ich habe niemals Angst um Dich, sieht es einmal so aus und
es sieht ja oft so aus, so ist es nur eine Schwäche, eine Laune des
Herzens, das trotzdem genau weiß wofür es schlägt, auch
Riesen haben Schwächen, selbst Herakles hatte, glaube ich, einmal
eine Ohnmacht. Aber ich kann mit zusammengebissenen Zähnen und gegenüber
Deinen Augen die ich selbst am hellen Tage sehe, alles ertragen: Ferne,
Bangigkeit, Sorge, Brieflosigkeit.
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Wie glücklich bin ich, wie glücklich machst Du mich! Eine Partei
kam, denke, ich habe auch Parteien, der Mann unterbrach mich im Schreiben,
ich ärgerte mich, aber er hatte ein gutes, freundliches, dickes, dabei
reichsdeutsch korrektes Gesicht, war so lieb, Späße als amtliche
Erledigungen hinzunehmen, immerhin er hatte mich gestört, ich konnte
es ihm nicht verzeihn, dann mußte ich gar noch aufstehn, um mit ihm
in andere Abteilungen zu gehn, aber das war Dir Gute doch schon zu viel
und gerade als ich aufstand, kommt der Diener und bringt Deinen Brief und
auf der Treppe mache ich ihn auf, lieber Himmel, ein Bild ist drin, also
etwas ganz und gar Unerschöpfliches, ein Jahres-Brief, ein Ewigkeits-Brief
und so gut ist es, es kann ja gar nicht besser sein, ein armes Bild, und
nur durch Tränen und mit Herzklopfen dürfte man es ansehn, nicht
anders.
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Und wieder sitzt ein Fremder an meinem Tisch.
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Um das Obige fortzusetzen: Alles kann ich ertragen, Dich im Herzen, und
wenn ich einmal geschrieben habe, dass die Tage ohne Deine Briefe
entsetzlich waren, so ist das nicht richtig, sie waren nur entsetzlich
schwer, das Boot war schwer, es hatte entsetzlichen Tiefgang, aber es schwamm
doch auf Deiner Flut. Nur eines Milena kann ich ohne Deine ausdrückliche
Hilfe nicht ertragen: die "Angst", dafür bin ich viel
zu schwach, ich kann ja dieses Ungeheuere nicht einmal überblicken,
es schwemmt mich fort.
Was Du über Jarmila sagst, ist eben eine jener Schwächen des
Herzens, einen Augenblick lang hört Dein Herz auf, mir treu zu sein
und dann kommt Dir ein solcher Gedanke. Sind wir denn noch zwei Menschen
in diesem Sinn? Und ist denn meine "Angst" viel anderes als
Angst vor Selbstbefleckung?
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Wieder eine Unterbrechung, ich werde im Bureau nicht mehr schreiben können.
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Der angekündigte große Brief könnte fast Furcht machen,
wäre nicht dieser Brief so beruhigend. Was wird darin stehn?
Schreib mir gleich ob das Geld angekommen ist. Sollte es verloren gegangen
sein, schicke ich anderes, und wenn das verloren gehn sollte, wieder anderes
und so weiter bis wir gar nichts mehr haben und dann erst recht alles in
Ordnung ist.
F
Die Blume habe ich nicht bekommen, die schien Dir im letzten Augenblick
doch zu schade für mich.
Freitag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at