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An Milena Jesenská

[Prag, 15. Juli 1920]
Donnerstag
 

Nur in Eile ehe ich ins Bureau gehe, ich wollte schweigen, seit 3 Tagen würge ich daran, wenigstens jetzt während Du diesen schrecklichen Kampfdom kämpfst, wollte ich schweigen, aber es ist unmöglich, es gehört dazu, es ist eben mein Kampf. Du merkst vielleicht dass ich seit paar Nächten nicht schlafe. Es ist einfach die "Angst". Das ist wirklich etwas, was mich willenlos macht, mich herumwirft nach Belieben, ich kenne nicht mehr oben und unten, rechts und links. Es begann diesmal mit Staša. Tatsächlich steht ja über ihr geschrieben: "Gebet jede Hoffnung auf die ihr hier eintretet". Außerdem mischten sich in Deine letzten Briefe 2, 3 Bemerkungen, die mich glücklich aber doch nur verzweifelt glücklich machten, denn was Du darüber sagst, überzeugt gleich Verstand, Herz und Körper aber hier ist noch eine tiefere Überzeugung, ich kenne ihren Ort nicht, die offenbar nichts überzeugen kann. Endlich, was sehr mitgewirkt hat mich zu schwächen, die wunderbare beruhigend-beunruhigende Wirkung Deiner körperlichen Nähe verflüchtigt sich mit den Tagen. Wärest Du schon hier! So habe ich niemanden niemanden hier, als die Angst, gegenseitig in einander verkrampft wälzen wir uns durch die Nächte. Es ist doch etwas sehr Ernstes um diese Angst [ (die merkwürdiger Weise nur immer gegen die Zukunft gerichtet war, nein, das ist nicht richtig], die in gewissem Sinn auch dadurch verständlich wird, dass sie mir fortwährend die Notwendigkeit des großen Zugeständnisses vormalt: auch Milena ist nur ein Mensch. Was Du darüber sagst ist ja so schön und gut, man wollte überhaupt nichts anderes mehr hören, nachdem man das gehört hat, aber, dass es hier nicht um das Höchste geht, ist doch sehr fraglich, diese Angst ist doch nicht meine private Angst - sie ist es bloß auch und fürchterlich - aber es ist ebenso die Angst alles Glaubens seit jeher.

Schon dass ich Dir das aufgeschrieben habe, kühlt den Kopf.

Dein          




(die merkwürdiger . . . nicht richtig gestrichen, aber so, dass der Text noch gut lesbar ist


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at