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An Milena Jesenská
14)
Das ist schlimm, vorgestern kamen die zwei unglücklichen Briefe, gestern
nur das Telegramm (es war zwar beruhigend, aber schien doch auch ein wenig
zusammengeflickt wie eben Telegramme sind) und heute gar nichts. Und jene
Briefe waren doch nicht sehr trostreich für mich, in keiner Hinsicht,
und es hieß dort, dass Du gleich wieder schreiben wirst und
Du hast nicht geschrieben. Und vorgestern Abend habe ich Dir ein dringendes
Telegramm mit dringender Rückantwort geschickt, die Antwort müßte
doch auch schon längst hier sein. Ich wiederhole den Text: "Es
war das einzig Richtige, sei ruhig, hier bist Du zuhause, Jilovský
kommt mit Frau wahrscheinlich in 8 Tagen nach Wien. Wie soll ich Dir Geld
anweisen?" Also darauf kam keine Antwort: "Fahre nach Wien"
sage ich mir. "Aber Milena will es doch nicht, will es sehr entschieden
nicht. Du wärest eine Entscheidung, Dich will sie nicht, sie hat Sorgen
und Zweifel, darum will sie Staša" Trotzdem sollte ich fahren,
aber ich bin nicht gesund. Ruhig, verhältnismäßig ruhig
bin ich zwar, wie ich in den letzten Jahren niemals mehr gehofft hätte,
es sein zu können, aber starken Husten habe ich während des Tags
und viertelstundenlang in der Nacht. Es handelt sich vielleicht nur um
die erste Zeit der Eingewöhnung in Prag und um die Folgen der wilden
Meraner Zeit, ehe ich Dich kannte und in Deine Augen gesehen hatte. Wie
dunkel Wien geworden ist und war doch so hell 4 Tage lang. Was wird dort
für mich gekocht, während ich hier sitze, das Schreiben lasse
und das Gesicht in die Hand lege.
F
Dann habe ich von meinem Sessel aus durch das offene Fenster in den Regen
hinausgeschaut, verschiedene Möglichkeiten fielen mir ein, dass
Du vielleicht krank bist, müde bist, im Bett liegst, dass Frau Kohler vermitteln könnte und dann - merkwürdiger
Weise als natürlichste, selbstverständlichste Möglichkeit
- dass die Tür sich aufmacht und Du dastehst.
1] Frau Kohlen: Die Vertraute Milenas hatte in Wien
eine kleine Pension; bei ihr wohnten häufig Prager Freunde des Ehepaares
Pollak. Ein Porträt dieser Frau zeichnet Milena in ihrem Artikel "Moje
přítelkyně" ["Meine Freundin"] in der
"Tribuna", III. Jg., Nr. 22 (27. 1. 1921), S. 1-3; siehe Anhang
S. 382-389.
Samstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at