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An Milena Jesenská

[Prag, 9. Juli 1920]
Freitag
 

Nur paar Worte zu Stašas Brief, der Onkel, sonst sehr lieb, jetzt ein wenig störend, wartet auf mich. Nun Stašas Brief, er ist doch sehr freundlich und herzlich, nur irgendeinen Mangel hat er doch, irgendeinen kleinen vielleicht nur formalen Mangel (wobei nicht gesagt ist, dass die Briefe ohne diesen Mangel herzlicher gemeint sind, vielleicht eher das Gegenteil), immerhin etwas fehlt darin oder ist darin zu viel, vielleicht ist es die Überlegungskraft, die übrigens vom Mann zu stammen scheint, denn gerade so sprach er gestern mit mir und heute dagegen, wo ich ihn wegen meines gestrigen Mißtrauens (z Kafky to vytáhl) [ vom Kafka hat er das herausbekommen] um Verzeihung bitten und ein wenig mich ausschütten wollte, schickte er mich in aller Herzlichkeit mit Stašas Brief und dem Hinweis auf das Rendezvous, das Staša mir für Montag verspricht, fast fort. Aber wie spreche ich denn von diesen doch wirklich guten Leuten? Eifersucht, wirklich es ist Eifersucht, doch verspreche ich Dir Milena niemals Dich mit ihr zu plagen, nur mich, nur mich. Aber ein Mißverständnis scheint mir doch in dem Brief zu sein, Du wolltest doch von Staša weder geradezu Rat, noch sie geradezu mit Deinem Mann sprechen lassen, Du wolltest zunächst doch das durch nichts zunächst Ersetzbare: ihre Gegenwart. So schien es mir. Und die Geldfrage hat gar keine Bedeutung, das sagte ich dem Mann schon gestern. Nun ich werde ja mit Staša Montag sprechen (außerdem ist Jilovský heute sehr zu entschuldigen, er ist sehr in Geschäften, Pittermann und Ferensz Futurista saßen am gleichen Tisch und warteten schon ungeduldig auf den Beginn der Konferenz wegen eines neuen Kabarets). Wirklich wenn der Onkel nicht wartete, ich würde den Brief zerreißen und einen neuen schreiben, besonders da doch in Stašas Brief eine Stelle steht, die alles heiligt, für mich: s Kafkou žit [mit Kafka leben].

Hoffentlich bekomme ich heute noch eine Nachricht von Dir. Man ist übrigens ein Kapitalist der gar nicht von allem weiß, was er hat. Jetzt nachmittag als ich im Bureau vergebens nach Nachrichten fragte, brachte man mir einen Brief von Dir, der kurz nach meiner Abreise nach Meran angekommen (übrigens nebst einer Karte von Přibram) war, es war sonderbar zu lesen.

Dein                   




Vermutlich Brief Nr. 13


1] Pittermann: E. A. Pittermann (1885-1936), unter dem 102 Künstlernamen Emil Artur Longen bekannter Schauspieler, Regisseur und Publizist, enger Freund Jaroslav Hašeks.


2] Ferenc Futurista: (eigtl. František Fiala), (1891-1947)) bekannter Prager Komiker und auch Regisseur.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at