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An Milena Jesenská

[Prag, 8. Juli 1920]
Donnerstag vormittag
 

11)

Endlich Dein Brief. Nur gleich in Eile ein paar Worte zur Hauptsache, mag auch die Eile vielleicht Unrichtigkeiten einmischen, die ich später bedauern werde: Es ist ein Fall, wie ich in den gegenseitigen Verhältnissen von uns drei keinen ähnlichen kenne, deshalb muß man auch nicht ihn mit Erfahrungen aus andern Fällen (Leichen - Qual zu dritt, zu zwei - auf irgendeine Art verschwinden) trüben. Ich bin nicht sein Freund, ich habe keinen Freund verraten, aber ich bin auch nicht bloß sein Bekannter, sondern sehr mit ihm verbunden, in manchem vielleicht mehr als Freund. Du wieder hast ihn nicht verraten, denn Du liebst ihn, was Du auch sagen magst und wenn wir uns vereinigen (ich danke Euch, Ihr Schultern!) ist es auf einer anderen Ebene, nicht in seinem Bereich. Ergebnis dessen ist, dass diese Angelegenheit wirklich nicht nur unsere geheim zu haltende Angelegenheit ist, auch nicht nur Qual Angst Schmerz Sorge - Dein Brief hat mich sehr aufgeschreckt aus verhältnismäßiger Ruhe, die noch herkam aus unserem Beisammensein und die nun wieder vielleicht in den Meraner Wirbel gelenkt wird, immerhin, es sind kräftige Hindernisse da für die Wiederkehr der Meraner Zustände - sondern ist eine offene, in ihrer Offenheit klare Angelegenheit zudritt, selbst wenn Du noch ein Weilchen schweigen solltest. Auch ich bin sehr gegen das Durchdenken der Möglichkeiten - bin dagegen, weil ich Dich habe, wäre ich allein, könnte mich nichts vom Durchdenken abhalten - man macht sich schon in der Gegenwart zum Kampfplatz der Zukunft, wie soll dann der zerwühlte Boden das Haus der Zukunft tragen?

Ich weiß jetzt nichts mehr, ich bin den 3tten Tag im Bureau und habe noch keine Zeile geschrieben, vielleicht wird es jetzt gehn. Übrigens war während ich diesen Brief schrieb Max hier zu Besuch, sein Schweigen ist selbstverständlich, für alle außer Schwester Eltern Mädchen und ihn bin ich über Linz gekommen.

F                   


Darf ich Dir Geld schicken? Etwa durch Laurin, dem ich sage dass Du mir in Wien Geld geborgt hast und der es Dir mit Deinem Redaktionshonorar schickt?

Ein wenig erschreckt bin ich auch durch das was Du wegen der Angst zu schreiben ankündigst.




1] Mädchen: Julie Wohryzek, vgl. Brief vom [31. Mai 1920], Anm. 3.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at