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[Prag, 7. Juli 1920]
Mittwoch abend
 

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Nur paar allereiligste Worte zur Einweihung meiner neuen Wohnung, allereiligst, weil um 10 Uhr die Eltern von Franzensbad, um 12 der Onkel aus Paris kommt und beide abgeholt sein wollen; neue Wohnung, weil ich in die leere Wohnung meiner Schwester die in Marienbad ist, übersiedelt bin, um dem Onkel Platz zu machen. Leere große Wohnung, das ist ja schön, aber die Straße ist lärmender, immerhin kein allzu schlechter Tausch. Und schreiben muß ich Dir Milena, weil Du aus meinen letzten Klagebriefen (den schlimmsten habe ich heute vormittag zerrissen aus Scham; denke, ich habe jetzt noch keine Nachricht von Dir, aber über die Post zu klagen, ist doch dumm, was habe ich mit der Post zu tun) schließen könntest, ich sei Deiner unsicher, ich fürchtete, Dich zu verlieren, nein, ich bin nicht unsicher. Könntest Du mir denn das sein, was Du mir bist, wenn ich Deiner nicht sicher wäre? Was diesen Eindruck erweckt, das war mir die kurze körperliche Nähe und die plötzliche körperliche Trennung (warum gerade Sonntag? warum gerade um 7 Uhr? warum überhaupt?), das darf doch die Sinne ein wenig verwirren. Verzeih! Und nimm jetzt am Abend zur guten Nacht in einem Strom alles auf was ich bin und habe und was glückselig ist in Dir zu ruhn.

F                 




1] meiner neuen Wohnung: Kafka war in die Wohnung seiner ältesten Schwester Elli (verh. Hermann), Prag XII, Neruda Gasse/Nerudová, ul. 48, übersiedelt.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at