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An Milena Jesenská
Man ist unausgeschlafen viel gescheidter als ausgeschlafen, gestern war
ich ein wenig ausgeschlafen, gleich schrieb ich die bestimmten Dummheiten
über die Wiener Reise. Schließlich ist diese Reise nichts Geringes,
nichts um Späße damit zu machen. Überraschen werde ich
Dich jedenfalls auf keine Weise, ich zittere allein schon bei der Vorstellung
dessen. Ich komme ja gar nicht in Deine Wohnung. Hast Du Donnerstag noch
keinen Rohrpostbrief, dann bin ich nach Prag gefahren. Übrigens käme
ich wie ich höre doch am Westbahnhof an - gestern schrieb ich, glaube
ich, Südbahnhof-, nun das ist ja gleichgültig. Ich bin auch nicht
allzusehr über dem allgemeinen Höchstmaß unpraktisch, untransportabel,
nachlässig (vorausgesetzt dass ich ein wenig geschlafen habe),
darin mußt Du keine Sorge haben, steige ich in den Wagen, der nach
Wien fährt so steige ich höchstwahrscheinlich auch in Wien wieder
aus, nur das Einsteigen macht allerdings Umstände. Also auf Wiedersehn
(aber es muß nicht in Wien, kann auch in Briefen sein)
F.
Ropucha ist schön - ist schön, aber nicht sehr
schön nicht sehr schön, es geht der Geschichte wie dem Tausendfüßler;
nachdem sie einmal durch den Witz fixiert ist, kann sie sich nicht mehr
rühren und erstarrt auch nach rückwärts hin, alle Freiheit,
Bewegung der ersten Hälfte ist verloren. Aber abgesehen davon liest
es sich wie ein Brief der Milena J., ist es ein Brief dann werde ich ihn
beantworten.
Und was Milena betrifft, so hat das mit Deutschtum und Judentum gar nichts
zu tun. Am besten verstehen tschechisch (abgesehen von den tschechischen
Juden natürlich) die Herren von Naše řeč,
am zweitbesten die Leser der Zeitschrift, am drittbesten die Abonnenten
und Abonnent bin ich. Als solcher sage ich Dir, dass an Milena tschechisch
eigentlich nur das Diminutiv ist: milenka [Geliebte]. Ob es Dir gefällt
oder nicht, das sagt die Philologie.
1] Ropucha: Milena hatte ihm ihre Obersetzung von
Gustav Meyrinks "Der Fluch der Kröte - Fluch der Kröte"
["Kletba ropuchy - kletba ropuchy"] in der "Tribuna",
11. Jg., Nr. 139 (15. 6. 1920), S. 1 f, geschickt.
2] Naše řeč: [Unsere Sprache]. Zeitschrift
zur Erforschung und zur Pflege der tschechischen Sprache, hrsg. von der
Tschechischen Akademie für Wissenschaft und Kunst in Prag-Karlín,
1. Jg. (1917) ff.
Donnerstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at