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An Milena Jesenská
Heute etwas, was vielleicht manches erklärt Milena, (was für
ein reicher schwerer Name vor Fülle kaum zu heben und gefiel mir anfangs
nicht sehr, schien mir ein Grieche oder Römer nach Böhmen verirrt,
tschechisch vergewaltigt, in der Betonung betrogen und ist doch wunderbar
in Farbe und Gestalt eine Frau, die man auf den Armen trägt aus der
Welt, aus dem Feuer ich weiß nicht und sie drückt sich willig
und vertrauend dir in die Arme, nur der starke Ton auf dem i ist arg, springt
dir der Name nicht wieder fort? Oder ist das vielleicht nur der Glücksprung,
den du selbst machst mit deiner Last?):
Du schreibst zweierlei Briefe, ich meine nicht die mit Feder und die mit
Bleistift trotzdem auch die Bleistiftschrift an sich manches andeutet und
schon aufhorchen läßt aber diese Unterscheidung ist doch nicht
entscheidend, der letzte Brief mit der Wohnungskarte ist z. B. mit Bleistift
geschrieben und macht mich doch glücklich; glücklich machen mich
nämlich (verstehe Milena mein Alter, Verbrauchtsein und vor allem
die Angst und verstehe Deine Jugend, Deine Frische, Deinen Mut; und meine
Angst wird doch immer größer, denn sie bedeutet ja ein Zurückweichen
vor der Welt, daher Vergrößerung ihres Drucks, daher weiterhin
Vergrößerung der Angst, Dein Mut aber bedeutet ein Vordringen,
daher Verkleinerung des Drucks, daher Wachsen des Muts) die friedlichen
Briefe, zu Füßen dieser Briefe könnte ich sitzen glücklich
ohne Maß, das ist Regen auf den brennenden Kopf. Wenn aber diese
andern Briefe kommen Milena und seien sie ihrem Wesen nach glückbringender
als die ersten (ich kann aber infolge meiner Schwäche erst nach Tagen
zu ihrem Glück durchdringen) diese Briefe, die mit Ausrufungen anfangen
(und ich bin doch so weit) und die ich weiß nicht mit welchem Schrecken
enden, dann Milena fange ich tatsächlich zu zittern an wie unter der
Sturmglocke, ich kann das nicht lesen und lese es natürlich doch,
so wie ein verdurstendes Tier trinkt, dabei Angst und Angst, ich suche
ein Möbel, unter dem ich mich verkriechen könnte, ich bete zitternd
und ganz besinnungslos in der Ecke, dass Du wie Du in diesem Brief
hereingebraust bist wieder aus dem Fenster fliegen möchtest, ich kann
doch einen Sturm nicht in meinem Zimmer halten; Du mußt in solchen
Briefen den großartigen Kopf der Medusa haben, so zucken die Schlangen
des Schreckens um Deinen Kopf und um meinen allerdings noch wilder die
Schlangen der Angst.
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Dein Brief von Mittwoch, Donnerstag. Aber Kindchen, Kindchen (ich bin es
eigentlich, der ich Medusa so ausspreche) Du nimmst ja alle meine dummen
Späße (mit žid und nechápu
und "hassen") ernst, ich wollte Dich damit doch nur ein wenig
lachen machen, aus Angst mißverstehen wir einander, bitte zwing mich
nur nicht čechisch zu schreiben, keine Spur des Vorwurfs war darin,
eher könnte ich Dir den Vorwurf machen, dass Du von den Juden
die Du kennst (mich eingeschlossen) - es gibt andere! - eine viel zu gute
Meinung hast, manchmal möchte ich sie eben als Juden (mich eingeschlossen)
alle etwa in die Schublade des Wäschekastens dort stopfen, dann warten,
dann die Schublade ein wenig herausziehn, um nachzusehn, ob sie schon alle
erstickt sind, wenn nicht, die Lade wieder hineinschieben und es so fortsetzen
bis zum Ende. -Was ich über Deine "Rede" gesagt habe,
war allerdings ernst (immer wieder schiebt sich "ernst" in
den Brief. Ich tue ihm vielleicht - ich kann darüber nicht nachdenken
- schreckliches Unrecht, aber fast ebenso stark ist das Gefühl, dass
ich nun mit ihm verbunden bin und immer fester, fast hätte ich gesagt:
auf Leben und Tod. Könnte ich mit ihm sprechen! Aber ich fürchte
mich vor ihm, er ist mir sehr überlegen. Weißt Du Milena als
Du zu ihm giengst, bist Du einen großen Schritt von Deiner Ebene
hinabgegangen, kommst Du aber zu mir, so springst Du in die Tiefe. Weißt
Du das? Nein, das war nicht meine "Höhe" in jenem Brief
sondern Deine) - von der " Rede" sprach ich, sie war auch von
Dir ernst gemeint, darin kann ich doch nicht irren.
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Wieder höre ich von Deiner Krankheit. Milena, wenn Du Dich zu Bett
legen müßtest. Und vielleicht solltest Du es. Und vielleicht
liegst Du, während ich das schreibe. War ich nicht vor einem Monat
ein besserer Mensch? Sorgte mich um Dich (in meinem Kopfe allerdings nur)
wußte von Deinem Kranksein, jetzt nichts mehr, jetzt denke ich nur
an meine Krankheit und meine Gesundheit und beides allerdings, das erste
wie das zweite, bist Du.
F
Ich hatte heute einen kleinen Ausflug gemacht um mich herauszureißen
aus dieser schlaflosen Luft mit jenem Lieblings-Ingenieur. Ich hatte dort
auch eine Karte an Dich geschrieben, konnte sie aber nicht unterschreiben
und wegschicken. Ich kann Dir nicht mehr wie einer Fremden schreiben.
Der Freitagsbrief kam erst am Mittwoch, Expressund Rekommandobriefe gehn
langsamer als gewöhnliche Briefe.
1] žid und nechápu :Vgl. Brief 30 Mai
1920
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at