Voriger Eintrag | Jahresübersicht | Indexseite | Nächster Eintrag |
An Milena Jesenská
Sehen Sie Milena, ich liege auf dem Liegestuhl vormittag, nackt, halb in
Sonne halb im Schatten, nach einer fast schlaflosen Nacht; wie hätte
ich schlafen können, da ich, zu leicht für Schlaf, Sie immerfort
umflogen habe und da ich wirklich genau so wie Sie es heute schreiben,
entsetzt war über das "was mir in den Schoß gefallen war",
so entsetzt im gleichen Sinn, wie man von den Propheten erzählt, die
schwache Kinder waren (schon oder noch, das ist ja gleichgültig) und
hörten wie die Stimme sie rief und sie waren entsetzt und wollten
nicht und stemmten die Füße in den Boden und hatten eine gehirnzerreißende
Angst und hatten ja auch früher schon Stimmen gehört und wußten
nicht, woher der fürchterliche Klang gerade in diese Stimme kam -
war es die Schwäche ihres Ohrs oder die Kraft dieser Stimme - und
wußten auch nicht, denn es waren Kinder, dass die Stimme schon
gesiegt hatte und einquartiert war gerade durch diese vorausgeschickte
ahnungsvolle Angst, die sie vor ihr hatten, womit aber noch nichts für
ihr Prophetentum ausgesagt war, denn die Stimme hören viele, aber
ob sie ihrer wert sind, ist auch objektiv noch sehr fraglich und der Sicherheit
halber von vornherein lieber streng zu verneinen - also so lag ich da als
Ihre zwei Briefe kamen.
Eine Eigenheit haben wir glaube ich gemeinsam Milena: so scheu und ängstlich
sind wir, jeder Brief fast ist anders, fast jeder erschreckt über
den vorhergehenden und noch mehr über den Antwortbrief. Sie sind es
nicht von Natur aus, das sieht man leicht, und ich, vielleicht bin sogar
ich es nicht von Natur aus, aber fast ist es schon zur Natur geworden,
nur in Verzweiflung und höchstens noch im Zorn vergeht es und nicht
zu vergessen: in der Angst.
Manchmal habe ich den Eindruck, wir hätten ein Zimmer mit 2 gegenüberliegenden
Türen und jeder hält die Klinke seiner Tür und ein Wimperzucken
des einen, schon ist der andere hinter seiner Tür und nun braucht
der erste nur noch gar ein Wort zu sagen dann hat der zweite schon gewiß
die Tür hinter sich geschlossen und ist nicht mehr zu sehn. Er wird
ja die Tür wieder öffnen, denn es ist ein Zimmer, das man vielleicht
nicht verlassen kann. Wäre nur der Erste nicht genau so wie der Zweite,
wäre er ruhig, sähe er scheinbar lieber gar nicht hin zum zweiten,
brächte er das Zimmer langsam in Ordnung als sei es ein Zimmer wie
jedes andere, statt dessen tut er genau das gleiche bei seiner Tür,
manchmal sind sogar beide hinter den Türen und das schöne Zimmer
ist leer.
Quälende Mißverständnisse entstehen daraus. Milena, Sie
klagen über manche Briefe, man dreht sie nach allen Seiten und es
fällt nichts heraus, aber doch sind das, wenn ich nicht irre gerade
jene, in denen ich Ihnen so nahe war, so gebändigt im Blut, so bändigend
Ihres, so tief im Wald, so ruhend in Ruhe, dass man wirklich nichts
anderes sagen will, als etwa, dass durch die Bäume oben der Himmel
zu sehen ist, das ist alles und in einer Stunde wiederholt man das Gleiche
und es ist allerdings darin "ani jediná slovo která
by nebylo velmi obře uváženo" ["nicht ein
einziges Wort, das nicht sehr wohlerwogen wäre"]. Es dauert
ja auch nicht lange, einen Augenblick höchstens, bald blasen wieder
die Trompeten der schlaflosen Nacht.
Bedenken Sie auch Milena, wie ich zu Ihnen komme, welche 38 jährige
Reise hinter mir liegt (und da ich Jude bin, eine noch so viel längere)
und wenn ich an einer scheinbar zufälligen Wegdrehung Sie sehe, die
ich noch nie zu sehn erwartet habe und jetzt so spät erst recht nicht,
dann, Milena, kann ich nicht schreien, es schreit auch nichts in mir, ich
sage auch nicht 1000 Narrheiten, sie sind nicht in mir (ich sehe von der
andern Narrheit ab, die ich überreichlich habe) und dass ich
knie erfahre ich vielleicht erst dadurch, dass ich ganz nahe vor meinen
Augen Ihre Füße sehe und sie streichle.
Und verlangen Sie nicht Aufrichtigkeit von mir Milena. Niemand kann sie
mehr von mir verlangen als ich und doch entgeht mir vieles, gewiß,
vielleicht entgeht mir alles. Aber Aufmunterung auf dieser Jagd muntert
mich nicht auf, im Gegenteil, ich kann dann keinen Schritt mehr tun, plötzlich
wird alles Lüge und die Verfolgten würgen den Jäger. Ich
bin auf einem so gefährlichen Weg, Milena. Sie stehn fest bei einem
Baum, jung, schön, Ihre Augen strahlen das Leid der Welt nieder. Man
spielt šchatule šchatule hejbejte se[ Bäumchen, Bäumchen
wechsle dich], ich schleiche im Schatten von einem Baum zum andern, ich
bin mitten auf dem Weg, Sie rufen mir zu, machen mich auf Gefahren aufmerksam,
wollen mir Mut geben, entsetzen sich über meinen unsicheren Schritt,
erinnern mich (mich!) an den Ernst des Spiels - ich kann nicht, ich falle
um, ich liege schon. Ich kann nicht gleichzeitig hören auf die schrecklichen
Stimmen des Innern und auch auf Sie, aber ich kann hören auf jene
und es Ihnen vertrauen, Ihnen, wie niemandem sonst auf der Welt.
Ihr F
Donnnerstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at