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[Aus Heften und losen Blättern: 15. September 1920; Freitag]


15. September 1920. Es fängt damit an, dass du in deinen Mund zu seiner Überraschung statt des Essens ein Bündel von soviel Dolchen stopfen wolltest, als er nur faßt.


Unter jeder Absicht liegt geduckt die Krankheit wie unter dem Baumblatt. Beugst du dich, um sie zu sehn, und fühlt sie sich entdeckt, springt sie auf, die magere stumme Bosheit, und statt zerdrückt, will sie von dir befruchtet werden.


Es ist ein Mandat. Ich kann meiner Natur nach nur ein Mandat übernehmen, das niemand mir gegeben hat. In diesem Wider


spruch, immer nur in einem Widerspruch kann ich leben. Aber wohl jeder, denn lebend stirbt man, sterbend lebt man. So wie zum Beispiel der Zirkus von einer Leinwand umspannt ist, also niemand, der nicht innerhalb dieser Leinwand ist, etwas sehen kann. Nun Emdet aber jemand ein kleines Loch in der Leinwand und kann doch von außen zusehn. Allerdings muß er dort geduldet werden. Wir alle werden einen Augenblick lang so geduldet. Allerdings - zweites allerdings - meist sieht man durch ein solches Loch nur den Rücken der Stehplatzbesucher. Allerdings - drittes allerdings - die Musik hört man jedenfalls, auch das Brüllen der Tiere. Bis man endlich ohnmächtig vor Schrecken in die Arme des Polizisten zurückfällt, der von Berufs wegen den Zirkus umgeht und nur leise mit der Hand dir auf die Schulter geklopft hat, um dich auf das Ungehörige eines solchen gespannten Zusehns, für das du nichts gezahlt hast, aufmerksam zu machen.


Die Kräfte des Menschen sind nicht als ein Orchester gedacht. Hier müssen vielmehr alle Instrumente spielen, immerfort, mit aller Kraft. Es ist ja nicht für menschliche Ohren bestimmt und die Länge eines Konzertabends, innerhalb dessen jedes Instrument auf Geltendmachung hoffen kann, steht nicht zur Verfügung.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at