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An M. E.
Liebe Minze,
Ihren vorigen Brief habe ich doch bekommen, mich natürlich auch über
ihn gefreut, oft an ihn und Sie gedacht und - ich weiß nicht genau
warum - bis heute nicht geantwortet. Vielleicht deshalb, weil er so selbstständig,
so gar nicht hilfs-, ja nicht einmal antwortbedürftig schien.
Anders heute. So unsicher? Das wäre schlimm, aber Ihre Unsicherheit
hat wie auch übrigens in Schelesen etwas Fröhliches, Sorgenloses,
Vertrauensvolles. Man hat Angst um Sie und möchte Sie doch nicht anders
haben wollen. Das ist meine Stellung, während die Verwandten, die
es ja durchaus nicht leicht haben mögen, begreiflicher Weise nur die
Angst haben dürften. Ich erinnere mich nicht genau, ob Sie mir erzählt
haben, wie der Vater (von Geschäftsführung und Krankenpflege
abgesehn) mit Ihnen zufrieden war, ob Sie ihm Sorgen machten, wie er sich
Ihre Zukunft dachte udgl. Das würde mich interessieren. Von irgendwelchen
Zornesausbrüchen des Vaters sprachen Sie aber, glaube ich.
dass der Schulplan aufgegeben ist, ist sehr schade, und nicht ganz
verständlich. Sie waren doch in Holzminden schon aufgenommen, wie
Sie sagten. Und außerdem kann doch Holzminden nicht die einzige Möglichkeit
sein. In Nordböhmen allein gibt es doch einige derartige Schulen.
Und ernst scheint Ihnen diese Absicht doch noch immer zu sein, da Sie ja
unter Umständen auch als Volontärin auf ein Gut gehn wollen.
Ich weiß im Augenblick keine Möglichkeit, aber solche gibt es
doch gewiß, Sie selbst sprachen doch von einer, wenn ich nicht irre,
Großpriesener Domäne, wo Sie aufgenommen werden könnten.
- Ist es auch damit nichts? Nun wir werden noch gemeinsam darüber
nachdenken.
Wie haben Sie die Zeit in Schelesen und nachher verbracht? Mit Rolf und
In-den-Feldern-Herumlaufen? Das wäre ja sehr gut, aber zu wenig oder
zu viel. Es ist gut, seinen Träumen nachzujagen, aber schlecht, wie
es dann meistens auszugehen pflegt, von ihnen gejagt zu werden. Und die
Welt ist zwar groß und weit, wie Sie schreiben, aber um keine Haarbreite
größer als man sich sie selbst zu machen versteht. In der Unendlichkeit,
in der Sie die Welt jetzt sehn, ist doch neben der Wahrheit eines mutigen
Herzens auch die Täuschung der 19 Jahre. Sie können das leicht
daran überprüfen, dass Ihnen ebenso unendlich etwa ein Alter
von 40 Jahren erscheint, das doch, wie Ihnen Ihre ganze Umgebung zeigen
wird, zumindest die Unendlichkeit, von der Sie träumen, nicht enthält.
Was machen Sie in Karlsbad? Sind Sie schon gesund? In Karlsbad ist, glaube
ich, auch eine Verwandte des Frl. Stüdl, von der sie mir viel Gutes
erzählt hat, kennen Sie sie? Nach Meran fahre ich vielleicht in einem
Monat. Sie sind selbst auch in Meran gewesen?
Herzliche Grüße Ihres
F. Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at