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Max Brod an Franz Kafka
[Prag]

9. 6.1920


Liebster Franz -

Zuerst zwei Nachrichten, die dich freuen dürften: 1.) In der Weltbühne las Felix (ich nicht) einen großen Aufsatz von Peter Panther (Tucholski?) über deine "Strafkolonie", sehr entzückte Vergleiche mit Kleist u.s.f.

    2.) Meine Frau sagte mir, dass der Hutsalon des Frl. Wohryzek sehr in Mode kommt und dass auch die tonangebende Dame Prags, Frau Getreuer, dort arbeiten läßt, in einem separaten von der Werkstätte abgesonderten Raum -, was dem Ruf und wohl auch Geschäftsgang des Unternehmens dienlich sein dürfte.

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    Du schreibst traurig. Aber ich habe dir nur deshalb so lange nicht geantwortet, weil ich dir noch trauriger geschrieben hätte. In mir ist eine Leere wie seit Jahren nicht. Die Enttäuschung durch die Brünner Dame geht doch viel tiefer als ich gedacht habe, obwohl ich ja von Anfang an sehr schwer trug. Das peinigende Rätsel will mir nicht aus dem Kopf. Alles erscheint mir daneben so grau, so unherzlich. Nicht straflos öffnet man in unserem Alter sein Herz bis zur Neige, - es kann ein Glücksfall sein, und so sah es ja bei mir aus. Aber der Rückschlag, wenn er kommt, wirkt fürchterlich, verheerend geradezu. Ich habe zu nichts Lust-und das jetzt, wo ich Zeit hätte wie nie zuvor. - Überdies ist die ärgste Krise vielleicht doch vorbei. In den letzten 2 Wochen habe ich mein theoretisches Buch wieder vorgenommen und arbeite täglich mit Ausdauer daran, hie und da gelingt ein Stellchen, es ist doch erträglicher als die fürchterlich verträumten Nachmittage im Mai. - Du fehlst mir jedenfalls sehr. Ich habe niemanden, mit dem ich diese Dinge besprechen könnte. Felix wird glücklicher Vater, er hat zwar Geldsorgen und natürlich im tiefsten Grunde dasselbe Weh wie wir, - aber er neigt doch ein wenig dazu, Dinge der     Liebe für ein Spiel zu halten. Oskar Baum thront in seinem eisernen Unglück, man wagt kaum mehr ihn aufzustören - und dann ist mir gerade sein Fall fast unverständlich. Natürlich ist es die einzige Erleichterung, dass wir zusammenhalten und regelmäßig zusammenkommen, - Oskar liest aus seinem sehr menschlichen Buch (es scheint mir überdies, dass du ihm doch schreiben solltest, - er leidet vielleicht daran, dass du gerade ihm nur Grüße schickst - schicke ihm wenigstens Ansichtskarten). Und ich habe neulich das gründlich umgearbeitete 1. Kapitel von "Heiden. Chr. J." vorgeführt. Jetzt halte ich schon mit der Reinschrift im 4. Kapitel. Gern werde ich dir, wenn du in Prag bist, die Sache zur Beurteilung borgen. Wann gedenkst du, hier zu sein?

    Ich könnte dir gar nicht schreiben, wenn ich nicht wußte, dass ich nächste Woche bei unserem politischen Kongreß in Brünn sein werde. Das gibt mir doch einigen Mut. Ich werde es vielleicht zu einem klaren "Ja" oder "Nein" bringen, aber sicher ist das nicht, das brauche ich dir nicht zu sagen.

    Paul Adler war da, mit Camill Hoffmann spazierte ich einmal, das Parlament habe ich mir angesehen, Hasenclever gesprochen, über Borchardt geschrieben, - es arbeitet noch, aber im Innern hat sich ein Grab aufgetan.

    Eine merkwürdige Geschichte hat sich zugetragen, die ich dir wenigstens andeutungsweise "referiere". Der junge Redakteur Reiner der Tribuna, (wie man sagt, ein sehr feiner und wirklich übertrieben junger Mensch - vielleicht 20 Jahre) hat sich vergiftet. Das war, als du noch in Prag warst - glaube ich. Jetzt erfährt man den Grund: Willy Haas hatte mit seiner Frau (einer geh. Ambrožová, Christin, Freundin der Milena Jesenská und ihr ähnlich, so sagt man) ein Verhältnis, das aber in geistigen Grenzen sich bewegt haben soll. Es kam zu keinem Ertappen oder so etwas, sondern die Frau hat den Mann, den sie vor der Ehe Jahre lang kannte, so gequält, mit Worten hauptsächlich und ihrem Benehmen, dass er sich in der Redaktion tötete. Früh kam sie mit Herrn Haas in die Redaktion, um zu fragen, warum er aus dem Nachtdienst nicht zurückgekommen ist. Er lag schon im Krankenhaus und starb, ehe sie hinkamen. - Haas, der vor der letzten Prüfung stand, brach das Studium ab, überwarf sich mit dem Vater und leitet in Berlin eine Filmzeitung. Es soll ihm nicht gut gehen. Die Frau lebt auch in Berlin und man glaubt, er würde sie heiraten. - Ich weiß nicht, warum ich dir diese grausame Geschichte schreibe. Vielleicht nur weil wir unter demselben Dämon leiden und so gehört die Geschichte uns, wie wir ihr gehören . . . Aus deinen Andeutungen kann ich mir kein Bild machen. Aber ich glaube nur, dass du gesund werden mußt, körperlich vollkommen frisch. Dann wirst du die Dinge besser ertragen. Und wenn du wirklich glaubst, dass der Mangel nur in dir liegt, nicht in der andern, die dich liebt, -- ich kann mir nur schwach vorstellen, wie gut es mir in solch einer Situation gehn müßte, in der die Liebe wirklich und wahrhaftig auf mich losgeht. So war es ja 3 Tage lang. -

Dein Max        
 


Der Brief des Vaters Janowitz ist wirklich rührend, ich lasse ihn bei mir aufgehoben und wir werden gemeinsam antworten.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Aufsatz: Peter Panter [d.i. Kurt Tucholsky], "In der Strafkolonie", Die Weltbühne, Berlin, 3. Juni 1920 (wiederabgedruckt FB 93-96).


mein theoretisches Buch: Heidentum, Christentum, Judentum. Ein Bekenntnisbuch, 2 Bde., München: Kurt Wolff 1921.


Paul Adler: Siehe 1918 Anm.61.


Camill Hoffmann: Zu diesem vielseitigen Literaten (1878-1944) siehe SL 14 f.


Borchardt: Der Dichter und Kulturhistoriker Rudolf Borchardt (1877-1945).


merkwürdige Geschichte: Zu Josef Reiner und dessen Frau Jarmila, sowie zu Willy Haas, siehe M passim. Vgl. Anm.23 unten.


Tribuna: Prager tschechisch-jüdische Zeitung fortschrittlicher Tendenz, gegründet 1919. Siehe M.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at