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[Rekommandierter Brief]

[Meran, Ende April/Anfang Mai 1920]

[An:] Herrn Dr Max Brod Prag V Břehová ulice č 8

[Abs.:] Dr Kafka Meran-Untermais Haus Ottoburg


Mein lieber Max,

nichts von Dir gehört, schon so lange Zeit, allerdings durch meine Schuld, denn ich hätte recht gut dem ersten Brief, der irgendwie verloren gegangen zu sein scheint, einen zweiten nachschicken können. Oder vielmehr, ich hätte es nicht gut können, denn ich lebe hier zwar sehr behaglich, an Gewicht zunehmend, nur unter den üblichen Unruhe-Teufeln der Tage und Nächte, aber doch so, dass die präziseste Mitteilung über mein Leben sich nur durch Nichtschreiben erreichen läßt. Während Du wahrscheinlich, was ja nicht durchaus das Gegenteil ist, in der Überfülle der Arbeit die für das Schreiben nötige Auswahlmöglichkeit nicht hast. Gut siehst Du aber aus, das schreibt mir die Mutter, damit nimmt sie mir einige unbehagliche Gedanken an Wahlüberarbeitung, Wahlenttäuschung udgl.

    Übrigens habe ich doch noch ein wenig von Dir gehört, mein Arzt, Dr. Josef Kohn (Prager Zionist), hat Dich auf seiner Herreise in München aussteigen gesehn, was mir besonders mit Rücksicht auf die Wahlzeit sehr erstaunlich war, bis er mir dann wieder einmal die Nachricht von Teaterlärm in München brachte. Was hat Orosmin schon alles hören müssen!

    Gestern habe ich rekommandiert den beiliegenden Brief von Janowitz bekommen; scheint Dir meine beiliegende Antwort halbwegs entsprechend, schick sie weg, sonst ändere ich sie natürlich gern nach Deinem Wunsch. Das Ganze artet aber zu einem Geduldspiel aus, das erst dann zu einiger Lösung kommen kann, wenn er oder wir zu schimpfen anfangen. Wollen wir aber nicht grob werden, dann ist es besser, wenn wir uns zufrieden geben.

    Grüße bitte herzlich von mir Felix, Oskar und die Frauen, Frau Elsa voran.

Dein Franz        
 


Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Wahlenttäuschung: Bei den ersten tschechoslowakischen Parlamentswahlen, die am 18. April 1920 stattfanden, hatte man Brod als Kandidaten der Jüdischen Partei im Wahlkreis Eperies (in den Karpaten) aufgestellt. Er hatte keinen Erfolg. Vgl. SL 233 f.


"> Nachricht von Teaterlärm: Brods Einakter Die Höhe des Gefühls, der bereits in Dresden und Berlin Erfolg gehabt hatte, wurde am 20. April in den Münchner "Kammerspielen" ausgepfiffen. Siehe Brods lebhaften Bericht darüber, SL 233-236.


Brief von Janowitz: Kafka hatte an Hans Janowitz (1890-1954) in der folgenden Sache geschrieben (siehe SL. 77-80): In einer Gedenkrede vom 18. November 1917 für dessen Bruder, Franz Janowitz (1892-1917), sprach Karl Kraus von einigen Gedichten dieses Lyrikers, die er "im Jahre 1913 nur widerwillig einer fragwürdigen Anthologie [d.i. Max Brods Jahrbuch Arkadia] einverleiben ließ..." (Die Fackel, Nr.474-483, Mai 1918, S. 70); Brod - der einen Brief von Franz Janowitz besaß (abgedruckt SL. 79 f.), aus dem hervorging, dass die Anschuldigung von Kraus grundlos war - beriet sich mit Kafka, wie die Sache ins reine gebracht werden könnte. Daraufhin schrieb Kafka diesen Brief von Franz Janowitz ab und schickte ihn an Hans Janowitz mit einem Schreiben, das mit Brod vereinbart worden war: "Kafka schrieb", - so Brod (SL 80) "dass mir an Polemik oder öffentlicher Richtigstellung nichts liege; er ersuche aber Herrn Hans Janowitz, die beiliegende Abschrift Herrn Kraus zu dessen persönlicher Kenntnisnahme zur Verfügung zu stellen." Nach langem Schweigen schrieb Hans Janowitz zurück: "Sehr geehrter Herr Kafka! Ich bin nicht in der Lage, Ihren Brief an Herrn Karl Kraus weiterzuleiten. Herr Kraus würde auch keinesfalls eine Erklärung von Herrn Brod entgegennehmen" (SL 80).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at