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An Oskar Baum

[Schelesen, Anfang 1919]
 

Lieber Oskar, wie lebst Du weiter diesen Winter? Es ist, wie wenn es ungerecht verteilt wäre; ich schon den zweiten Winter auf dem Land und Du, der Du Dich in Zürau so gefreut hast, in Schnee und Kälte wieder in Prag. Und dabei entwerfe ich kein Trauerspiel überhaupt keines und erst recht keines wie das Deine, von dem oder wenigstens von dessen Schicksal ich gerne etwas hören wollte.

Übrigens glaube ich, dass ich bald zurückkommen werde, in zehn Tagen etwa, es wäre denn, dass der hiesige Doktor abrät. Ich will nicht sagen, dass es hier weniger schön ist als in Zürau, aber schwieriger, ich bin jetzt schon zum zweiten Male hier, aber ich müßte vielleicht noch zehnmal immer mit neuem Anlauf herfahren, ehe ich es bewältige. In Zürau war es so leicht. Allerdings war auch meine Gesundheit etwas besser.

An Dich lebt hier noch eine Erinnerung im Haus oder eigentlich an Deinen jungen. Ein kleiner Spitz des Briefträgers, bei dem ihr gewohnt habt, konnte es unter den Martern des Leo nicht aushalten und ist von Fräulein Stüdl gekauft, d. h. gerettet worden. Der Spitz lebt nun schon lange nicht mehr, Du wirst aber als Vater Deines Sohnes nicht vergessen werden. Eben bellen unten großartig die Hunde, sie rächen den Spitz an mir jede Nacht, aber das macht nicht viel, die innern Hunde sind dem Schlaf gefährlicher.

Herzliche Grüße Dir und den Deinen.

Franz




Trauerspiel: "Der Gruftwächter", über den Kafka mit Oskar Baum während dessen Aufenthalt in Zürau, Januar 1918, gesprochen hatte.


Deine: Oskar Baums Drama "Das Wunder". Berlin, 1920.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at