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[Stempel: Liboch, 8.2.19]

[An:] Pan Dr Max Brod koncipista Poštovní ředitelství

[Abs.:] Dr Kafka Pension Stüdl Schelesen b. Liboch


Lieber Max, wie Du mit Deiner Bestimmung kämpfst und dabei spricht diese Bestimmung eine so schöne klare laute und widerhallende Sprache: was sollten erst andere sagen, deren Bestimmung lispelt oder gar stumm ist.

    Während Du noch im Traum für Deinen Gedanken leidest, fahre ich in einer Troika in Lappland. So war es heute nacht oder vielmehr ich fuhr noch nicht, sondern das Dreigespann wurde angeschirrt. Die Wagendeichsel war ein riesiger Tierknochen und der Kutscher gab mir eine technisch ziemlich geistreiche und auch merkwürdige Erklärung des Troika-Anschirrens. Ich will sie nicht in ihrer ganzen Länge hier erzählen. Ein einheimischer Klang kam dann in das Nordische dadurch, dass meine Mutter, deren Person oder vielleicht nur Stimme dabei war, die Nationaltracht des Mannes beurteilte und erklärte, die Hose sei Papiergewebe und von einer Firma Bondy. Es leitete das offenbar in Erinnerungen vom Vortage über, denn es gibt hier Jüdisches, auch vom Papiergewebe war gesprochen worden, auch von einem Bondy.

    Das Jüdische ist ein junges Mädchen, hoffentlich nur wenig krank. Eine gewöhnliche und eine erstaunliche Erscheinung. Nicht Jüdin und nicht Nicht-Jüdin, insbesondere nicht Nichtjüdin, nicht Deutsche, nicht Nicht-Deutsche, verliebt in das Kino, in Operetten und Lustspiele, in Puder und Schleier, Besitzerin einer unerschöpflichen und unaufhaltbaren Menge der frechsten Jargonausdrücke, im ganzen sehr unwissend, mehr lustig als traurig - so etwa ist sie. Will man ihre Volkszugehörigkeit genau umschreiben, muß man sagen, dass sie zum Volk der Komptoiristinnen gehört. Und dabei ist sie im Herzen tapfer, ehrlich, selbstvergessend, - so große Eigenschaften in einem Geschöpf, das körperlich gewiß nicht ohne Schönheit, aber so nichtig ist, wie etwa die Mücke, die gegen mein Lampenlicht fliegt. Darin und in anderem ähnlich dein Frl. Bloch, an das Du Dich vielleicht in Abneigung erinnerst. Könntest Du mir vielleicht für sie "Die 3tte Phase des Zionismus" borgen oder etwas anderes, was Du für richtig hältst? Sie wird es nicht verstehn, es wird sie nicht interessieren, ich werde sie nicht dazu drängen - aber trotzdem.

    Zeit habe ich nicht viel, das mußt Du mir glauben, der Tag reicht kaum aus, jetzt ist ¼12 Uhr. Das Liegen im Freien nimmt die meiste Zeit in Anspruch, ich liege allein auf einem Balkon, Waldanhöhen gegenüber.

    Die Gesundheit ist nicht schlecht, Magen und Darm sind allerdings in Unordnung. Auch die Nerven oder was man so nennt, sollten etwas widerstandsfähiger sein, es geschieht mir hier schon gegenüber dem zweiten Menschen. Die Aufnahme eines neuen Menschen in sich, besonders seiner Leiden und vor allem des Kampfes, den er führt und von welchem man mehr zu wissen glaubt, als der fremde Mensch selbst, - das alles ist ein Gegenbild des Gebärungsaktes geradezu.

    Leb wohl. Grüße Felix und Oskar

Franz        
 


Die Selbstwehr bekomme ich. Was meinst Du eigentlich mit Deiner Bemerkung "Palästina überhaupt unklar"?



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


ein junges Mädchen: Julie Wohryzek (1891-1939), mit der sich Kafka später verlobte. Siehe Klaus Wagenbach, "Julie Wohryzek, die zweite Verlobte Kafkas", Sy 39-53.


Frl. Bloch: Grete Bloch, die bei der Auflösung von Kafkas erster Verlobung mit Felice Bauer eine Rolle gespielt hatte (Siehe F passim).


"Die 3tte Phase des Zionismus": Max Brod, Die dritte Phase des Zionismus (Sonderdruck aus Die Zukunft vom 20. Januar 1917), Berlin: Verlag der Zukunft 1917.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at