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[An Ottla Kafka]

[Stempel: Prag - 8. IX. 18]
 


Liebe Ottla, danke für die Abmeldung, ich wollte Dich mit dem Telegramm nur ein wenig anfeuern; dass Du jetzt viel Unruhe hast weiß ich natürlich, aber zum Abschied von Zürau ist das zu ertragen. Wegen der Schule aber mußt Du doch keine Unruhe haben, denn die Wahl ist doch sehr groß und vielleicht nicht einmal gar so wichtig, will man lernen so erlernt man doch überall, zur Not mit Hilfe von Büchern, alles was nötig ist. Ich habe ein wenig herumgeschrieben und herumgefragt und besitze vorläufig folgendes: Prospekte der Gartenschulen Eisgrub und Klosterneuburg (letztere ist jedenfalls die bessere, man kann dort ungeheuer viel erlernen und kann es - ein Vorteil, der wohl an allen diesen Schulen besteht - in beliebig kurzer Zeit und Auswahl, indem man nur als Hospitant mittut, man bekommt dann zwar kein Abgangszeugnis in aller Form, das ist ja aber auch nicht gar so nötig, die Bestätigung über den Besuch und die einzelnweise abgelegten Prüfungen kann Dir vollständig genügen) Ein Haufen Prospekte tschechischer Haushaltungsschulen habe ich außerdem, es sind das Schulen, die meistens mit Landwirtschaftsschulen in Verbindung sind, wo man allerdings nur durch den Augenschein das Passende wird herausfinden können. Es wird ja überhaupt das Beste sein, wenn Du ein bischen herumfährst und nachsiehst. Von eigentlichen landwirtschaftlichen Schulen habe ich nur nach Budweis, Liebwerda und Friedland geschrieben. Die Haushaltungsschule in Budweis (man kann noch so sehr von landwirtschaftlicher Schulung schreiben, sie verstehen, wenn es sich um Mädchen handelt immer schlecht, und so hat mir aus Budweis auch nur die Haushaltungsschule geantwortet) eröffnet diesen Winter wegen Lebensmittel- und Kohlenmangel überhaupt nicht, mit diesen Dingen muß man auch rechnen und deshalb ist auch die Besichtigung notwendig. Von Liebwerda-Teschen, und von Friedland habe ich noch keine Antwort. Durch einen Bekannten habe ich mich über diese Schule bei einem großen Fachmann erkundigt und habe erfahren, dass die Akademie in Liebwerda zwar sehr gut ist, aber dass die Aufnahme Mittelschulbildung zur Voraussetzung hat, gegenwärtig studiert dort tatsächlich ein Mädchen (aber vielleicht gibt es auch dort dieses Hospitantenwesen) Noch mehr aber als Liebwerda hat dieser Fachmann Friedland empfohlen, es ist ein zweijähriger Kurs der gut in einem Jahr gemacht werden kann und der dann für Dich überall eine Empfehlung wäre, übrigens hättest Du dort auch Protektion, nicht nur durch diesen Mann sondern auch durch den Oberinspektor, der den Direktor kennt. Wenn Du Dich also nicht für Wien entschließst, das abgesehn von dem Fehlen der Landwirtschaft auch zunächst ganz gut wäre, besonders da es Dir auch ganz neue Verhältnisse zeigen würde, wäre es am besten, wenn Du nach Friedland (eine merkwürdige schöne traurige Stadt in meiner Erinnerung, ich war dort 14 Tage) fährst und mit den Leuten sprichst. Vielleicht schreiben sie mir auch inzwischen. Wegen der Kosten des Ganzen mußt Du mit dem Vater gar nicht reden, ich zahle es sehr gern, das Geld hat so wie so immer weniger Wert und so lege ich es bei Dir an, es wird dann die erste Hypothek auf Deiner künftigen Wirtschaft sein.

Bis Sonntag dürfte ich zuhause sein, dann fahre ich wahrscheinlich weg, nach Turnau; brauchst Du mich übrigens zu den Besichtigungsfahrten, kannst Du mich haben. Je früher Du - da es nun schon einmal beschlossen ist - von Zürau weggehn kannst, in allen Ehren natürlich, - desto besser Du hast dann mehr Zeit Dich umzusehn vor dem neuen Schuljahr.

Wenn Du übersiedelst, vergiß meine Zeitungen nicht. Schick sie vielleicht mit der Post.

Leb wohl und grüß herzlich alle

Franz


Was wird denn das Fräulein machen?


Liebe Ottla, ein Nachtrag: die Antwort aus Friedland ist gekommen ich antworte dem Direktor mit dem abschriftlich beiliegenden Brief. Es sind zwei Schulen: die Winterschule (zwei Winterkurse immer von Anfang November bis Ende März, welche aber von "ältern Landwirten, welche schon längere Zeit in der Praxis stehn" in einem Kurs absolviert werden können.) dann ist dort noch die heuer allerdings zweifelhaft gewordene Haushaltungsschule. Solltest Du erst nach Prag kommen, wenn ich schon weg bin, wirst Du alle Prospekte in Deinem-meinem Zimmer finden und alles was an Briefen oder Prospekten in meiner Abwesenheit gekommen sein sollte, im Bureau von Fräulein Kaiser und von Herrn Klein (der auch die Zuleger und Graupner kennt und bei der Landesverwaltungskommission ev. urgieren würde) bekommen.

Gerade bekomme ich noch einen wichtigen Auftrag: Hasen und Rebhühner wieviel Du bekommen kannst dem Hr. Oberinspektor per Nachnahme schicken! Herr Lüftner bekommt, falls die Preise nicht gar zu übertrieben sind, zu jedem Stück außer dem Geld von Herrn Oberinspektor auch noch etwas Rauchzeug (Tabak Cigarren, Cigaretten, Virginia was er will)

Leb wohl

Franz   


Liebe Ottla, noch ein zweiter Nachtrag. Es kam eine Antwort von der Tetschner Akademie. In gewissem Sinn ist natürlich die Akademie noch viel besser, als die Friedländer Winterschule, aber sie hat Hochschulcharakter und ihre Anforderungen sind viel größer. Da kommt es darauf an, was Du Dir zutraust, übrigens auch darauf, ob Du angenommen wirst. Nicht als ordentliche Hörerin allerdings, das ist glaube ich für Mädchen unmöglich, aber auch bei außerordentlichen macht man wegen der Vorbildung Geschichten, bei Dir meiner Meinung nach unnötige. Regelrecht dauert die Sache in Tetschen-Liebwerd 3 Jahre, für außerordentliche Hörer läßt sich natürlich die Dauer nach Belieben, nach

Fleiß und nach Auswahl der Lehrgegenstände abkürzen. In seiner Antwort fragt mich der Direktor nach Deiner Vorbildung, ich antworte ihm, wie Du in der Beilage siehst, mit Berufung auf Hr. Sekretär Fritsch, der zufällig beim Landesausschuß (es ist eine Landesanstalt) gerade das Referat der Akademie hat und über Deine Aufnahme mitzuentscheiden hätte.

Ich glaube, Du wirst hauptsächlich zwischen diesen zwei Schulen Friedland und Teschen zu wählen haben und am besten Dir beide vorher ansehn.

Leb wohl!

Franz    




Wegen der Schule: Nach verschiedenen andern Plänen (vgl. die Zeittafel am Ende des Bandes) spielte Ottla mit dem Gedanken, die Gartenbauschule in Klosterneuburg bei Wien zu besuchen (vgl. auch Nr. 43).


Friedland: Vgl. die Anmerkungen zu Nr. 7 und 8. Ottla studierte dann von November 1918 bis März 1919 an der dortigen Landwirtschaftlichen Winterschule. Sie absolvierte den Stoff zweier Jahrgänge auf einmal. (Brief an David vom 16. XI. 1918)


nach Turnau: Dort hielt sich dann Kafka in der 2. Septemberhälfte zur Erholung auf.


in Deinem-meinem Zimmer: Vgl. die Anmerkungen zu Nr. 46.


im Bureau von Fräulein Kaiser und von Herrn Klein: Vgl. Nr. 61.


Herr Lüftner: Dieser Zürauer Bauer vernachlässigte zwar seine Wirtschaft, war aber ein leidenschaftlicher Jäger. (Vgl. T 536 und Br 173)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at