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Kurt Wolff Verlag (G. H. Meyer) an Franz Kafka
Sehr geehrter Herr Dr. Kafka!
Die Schwierigkeiten der Buchherstellung werden gewiß auch Ihnen nicht
unbekannt geblieben sein. Die Einzelheiten dem Nicht-Fachmann auseinanderzusetzen
und zu erklären, dürfte nicht ganz leicht sein. Wie es z. B.
kommt, dass es möglich ist, dass Bücher in ganz hohen
Auflagen noch leichter gedruckt werden können als Bücher in normalen
Auflagen etc. etc.
Diese Schwierigkeiten, die wir Ihnen vielleicht in Kürze einmal mündlich
werden schildern können, sind bestimmend gewesen, dass wir eine
Zweigstelle in Österreich unter der Firma "Kurt Wolff Verlag
in Wien" errichten werden. Hierdurch hoffen wir in die Lage zu gelangen,
wieder einige Bewegungsfreiheit in unserer Produktion zu bekommen. Unter
der Firma "Kurt Wolff Verlag in Wien" wollen
wir namentlich die neuen Bücher unserer österreichischen Autoren
auf den Markt bringen, wie z. B. den neuen Gedichtband von
Werfel. Gesamtausgaben von Max Brod, Georg Trakl, Březina,
den neuen Roman von Max Brod etc. und auch Franz Kafkas "Landarzt".
Dem deutschen Buchhandel gegenüber läuft alles unter der
Firma Kurt Wolff Verlag weiter. Die Wiener Zweigstelle soll in erster Linie
eine Handhabe sein, dass wir auch in Österreich ein Papierkontingent
bekommen. Weiter wollen wir damit die Schwierigkeiten, die sich aus der
neuen Devisenordnung ergeben, dem Sortimentsbuchhandel erleichtern, indem
wir Zahlungen in österreichischer Währung entgegennehmen. Mit
der Zeit, wenn die Produktionsverhältnisse und Herstellungs-Schwierigkeiten
sich bessern, soll natürlich auch die Wiener Zweigstelle ein vollständiges
Lager unseres ganzen gangbaren Verlags führen, und der österreichische
Buchhandel soll in der Lage sein, aus dem Verlag von Wien ebenso leicht
wie von Leipzig zu beziehen. Das wird für die Sortiments-Buchhändler
namentlich in Wien, Budapest, Graz etc. eine große Erleichterung
bedeuten. Für Prag freilich kommt es ja weniger in Frage, da die Prager
Buchhändler auch den Bezug von Leipzig ziemlich bequem haben.
Über Einzelheiten - wie gesagt - mündlich mehr. Im nächsten
Monat werden wir Sie besuchen und weiteres auch über die Zukunftspläne
des Verlags, was Sie gewiß interessieren wird, und wobei wir auch
auf Ihre Mitarbeit rechnen, Ihnen auseinandersetzen. So z. B. die im .
. . [Textverlust] Jahre ins Leben tretende Vierteljahrsschrift für
Kunst und Dichtung "Der Genius".
Über die Drucklegung Ihrer Erzählung "Die Strafkolonie"
wird Ihnen Herr Wolff' nächstens persönlich schreiben. Heute
möchten wir Ihnen nur hier insbesondere über die Drucklegung
resp. Vollendung des Druckes "Der Landarzt" berichten. Leider
konnte die Druckerei nicht aussetzen, da sie nicht über genügend
Schriftmaterial in dieser Type verfügt. Ihrer Anordnung gemäß
umbrechen wir in dieser Reihenfolge: "Der Mord"
/ "Der neue Advokat" / "Ein Landarzt" / "Der
Kübelreiter" / "Auf der Galerie" / "Ein altes
Blatt" / "Vor dem Gesetz" / "Schakale und Araber"
/ "Ein Besuch im Bergwerk" / "Das nächste Dorf"
/ "Eine kaiserliche Botschaft" / "Die Sorge des Hausvaters"
/ "Elf Söhne" / "Ein Brudermords / "Ein Traum"
/ "Ein Bericht für eine Akademie".
Die Manuskripte befinden sich sämtlich hier bis auf eines "Ein
Traum", das in der Abschrift in Verlust geraten zu sein scheint.
Wir nehmen als sicher an, dass Sie noch einen Maschinen-Durchschlag
besitzen und wären Ihnen daher dankbar, wenn Sie uns diesen zur Verfügung
stellen würden, vorausgesetzt, dass Ihnen das keine allzu große
Mühe verursacht.
Über die Drucklegung der "Strafkolonie" wird Ihnen, wie
schon oben bemerkt, Herr Wolff in aller Kürze Vorschläge unterbreiten.
Mit besten Empfehlungen und Grüßen zeichnen wir hochachtungsvoll
Ergebenst
[G.H. Meyer]
"Kurt Wolff Verlag in Wien": Ein infolge
des Kriegsendes nicht verwirklichter Plan.
neuen Gedichtband von Werfel: "Der Gerichtstag".
Leipzig: KWV 1919.
Březina: Von Otokar Březina erschien
1920 (als neuntes Buch in der neuen Folge der Drugulin-Drucke) der Gedichtband
"Winde von Mittag nach Mitternacht", in deutscher Nachdichtung
von Emil Saudek und Franz Werfel.
"Der Genius": Zeitschrift für
werdende und alte Kunst. Hrsg. von Carl Georg Heise, Hans Mardersteig,
Kurt Pinthus. Ab Jg. 2 von C. G. Heise und H. Mardersteig. Jg. 1-3 München:
KWV 1919-21.
Reihenfolge: Siehe den Brief von Kafka an Kurt
Wolff vom 20. VIII. 1917.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at