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Kurt Wolff Verlag (G. H. Meyer) an Franz Kafka


13.September [191]8.
 

Sehr geehrter Herr Dr. Kafka!

Die Schwierigkeiten der Buchherstellung werden gewiß auch Ihnen nicht unbekannt geblieben sein. Die Einzelheiten dem Nicht-Fachmann auseinanderzusetzen und zu erklären, dürfte nicht ganz leicht sein. Wie es z. B. kommt, dass es möglich ist, dass Bücher in ganz hohen Auflagen noch leichter gedruckt werden können als Bücher in normalen Auflagen etc. etc.

Diese Schwierigkeiten, die wir Ihnen vielleicht in Kürze einmal mündlich werden schildern können, sind bestimmend gewesen, dass wir eine Zweigstelle in Österreich unter der Firma "Kurt Wolff Verlag in Wien" errichten werden. Hierdurch hoffen wir in die Lage zu gelangen, wieder einige Bewegungsfreiheit in unserer Produktion zu bekommen. Unter der Firma "Kurt Wolff Verlag in Wien" wollen wir namentlich die neuen Bücher unserer österreichischen Autoren auf den Markt bringen, wie z. B. den neuen Gedichtband von Werfel. Gesamtausgaben von Max Brod, Georg Trakl, Březina, den neuen Roman von Max Brod etc. und auch Franz Kafkas "Landarzt".

Dem deutschen Buchhandel gegenüber läuft alles unter der Firma Kurt Wolff Verlag weiter. Die Wiener Zweigstelle soll in erster Linie eine Handhabe sein, dass wir auch in Österreich ein Papierkontingent bekommen. Weiter wollen wir damit die Schwierigkeiten, die sich aus der neuen Devisenordnung ergeben, dem Sortimentsbuchhandel erleichtern, indem wir Zahlungen in österreichischer Währung entgegennehmen. Mit der Zeit, wenn die Produktionsverhältnisse und Herstellungs-Schwierigkeiten sich bessern, soll natürlich auch die Wiener Zweigstelle ein vollständiges Lager unseres ganzen gangbaren Verlags führen, und der österreichische Buchhandel soll in der Lage sein, aus dem Verlag von Wien ebenso leicht wie von Leipzig zu beziehen. Das wird für die Sortiments-Buchhändler namentlich in Wien, Budapest, Graz etc. eine große Erleichterung bedeuten. Für Prag freilich kommt es ja weniger in Frage, da die Prager Buchhändler auch den Bezug von Leipzig ziemlich bequem haben.

Über Einzelheiten - wie gesagt - mündlich mehr. Im nächsten Monat werden wir Sie besuchen und weiteres auch über die Zukunftspläne des Verlags, was Sie gewiß interessieren wird, und wobei wir auch auf Ihre Mitarbeit rechnen, Ihnen auseinandersetzen. So z. B. die im . . . [Textverlust] Jahre ins Leben tretende Vierteljahrsschrift für Kunst und Dichtung "Der Genius".

Über die Drucklegung Ihrer Erzählung "Die Strafkolonie" wird Ihnen Herr Wolff' nächstens persönlich schreiben. Heute möchten wir Ihnen nur hier insbesondere über die Drucklegung resp. Vollendung des Druckes "Der Landarzt" berichten. Leider konnte die Druckerei nicht aussetzen, da sie nicht über genügend Schriftmaterial in dieser Type verfügt. Ihrer Anordnung gemäß umbrechen wir in dieser Reihenfolge: "Der Mord" / "Der neue Advokat" / "Ein Landarzt" / "Der Kübelreiter" / "Auf der Galerie" / "Ein altes Blatt" / "Vor dem Gesetz" / "Schakale und Araber" / "Ein Besuch im Bergwerk" / "Das nächste Dorf" / "Eine kaiserliche Botschaft" / "Die Sorge des Hausvaters" / "Elf Söhne" / "Ein Brudermords / "Ein Traum" / "Ein Bericht für eine Akademie".

Die Manuskripte befinden sich sämtlich hier bis auf eines "Ein Traum", das in der Abschrift in Verlust geraten zu sein scheint. Wir nehmen als sicher an, dass Sie noch einen Maschinen-Durchschlag besitzen und wären Ihnen daher dankbar, wenn Sie uns diesen zur Verfügung stellen würden, vorausgesetzt, dass Ihnen das keine allzu große Mühe verursacht.

Über die Drucklegung der "Strafkolonie" wird Ihnen, wie schon oben bemerkt, Herr Wolff in aller Kürze Vorschläge unterbreiten.

Mit besten Empfehlungen und Grüßen zeichnen wir hochachtungsvoll Ergebenst


[G.H. Meyer]




"Kurt Wolff Verlag in Wien": Ein infolge des Kriegsendes nicht verwirklichter Plan.


neuen Gedichtband von Werfel: "Der Gerichtstag". Leipzig: KWV 1919.


Březina: Von Otokar Březina erschien 1920 (als neuntes Buch in der neuen Folge der Drugulin-Drucke) der Gedichtband "Winde von Mittag nach Mitternacht", in deutscher Nachdichtung von Emil Saudek und Franz Werfel.


"Der Genius": Zeitschrift für werdende und alte Kunst. Hrsg. von Carl Georg Heise, Hans Mardersteig, Kurt Pinthus. Ab Jg. 2 von C. G. Heise und H. Mardersteig. Jg. 1-3 München: KWV 1919-21.


Reihenfolge: Siehe den Brief von Kafka an Kurt Wolff vom 20. VIII. 1917.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at