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[Das vierte Oktavheft: 26. Februar 1918; Montag]


26. Februar. Sonniger Morgen.


Die Menschheitsentwicklung - ein Wachsen der Sterbenskraft.


Unsere Rettung ist der Tod, aber nicht dieser.


Alle sind zu A. sehr freundlich, so etwa wie man ein ausgezeichnetes Billard selbst vor guten Spielern sorgfältig zu bewahren sucht, solange bis der große Spieler kommt, das Brett genau untersucht, keinen vorzeitigen Fehler duldet, dann aber, wenn er selbst zu spielen anfängt, sich auf die rücksichtsloseste Weise auswütet.

Dann aber kehrte er zu seiner Arbeit zurück, so wie wenn nichts geschehen wäre.« Das ist eine Bemerkung, die uns aus einer unklaren Fülle alter Erzählungen geläufig ist, obwohl sie vielleicht in keiner vorkommt.


Jedem Menschen werden hier zwei Glaubensfragen gestellt, erstens nach der Glaubenswürdigkeit dieses Lebens, zweitens nach der Glaubenswürdigkeit seines Zieles. Beide Fragen werden von jedem durch die Tatsache seines Lebens so fest und unvermittelt mit »ja« beantwortet, daß es unsicher werden könnte, ob die Fragen richtig verstanden worden sind. Jedenfalls muß man sich nun zu diesem seinen eigenen Grund Ja erst durcharbeiten, denn noch weit unter ihrer Oberfläche sind die Antworten im Ansturm der Fragen verworren und ausweichend.


»Daß es uns an Glauben fehle, kann man nicht sagen. Allein die einfache Tatsache unseres Lebens ist in ihrem Glaubenswert gar nicht auszuschöpfen.«


»Hier wäre ein Glaubenswert? Man kann doch nicht nicht-leben.«

»Eben in diesem "kann doch nicht" steckt die wahnsinnige Kraft des Glaubens; in dieser Verneinung bekommt sie Gestalt.«


Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Hause gehst. Bleib bei deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor dir winden.


Die Nichtmitteilbarkeit des Paradoxes besteht vielleicht, äußert sich aber nicht als solche, denn Abraham selbst versteht es nicht. Nun braucht oder soll er es nicht verstehn, also auch nicht für sich deuten, wohl aber darf er es den andern gegenüber zu deuten suchen. Auch das Allgemeine ist in diesem Sinn nicht eindeutig, was sich im Iphigenie-Fall darin äußert, daß das Orakel niemals eindeutig ist.


Ruhe im Allgemeinen? Äquivokation des Allgemeinen. Einmal das Allgemeine gedeutet als das Ruhen, sonst aber als das »allgemeine« Hin und Her zwischen Einzelnem und Allgemeinem. Erst die Ruhe ist das wirklich Allgemeine, aber auch das Endziel.


Es ist so, wie wenn das Hin und Her zwischen Allgemeinem und Einzelnem auf der wirklichen Bühne stattfände, dagegen das Leben im Allgemeinen nur eingezeichnet würde auf der Hintergrundkulisse.


Es gibt nicht diese Entwicklung, die in ihrer von mir nur sehr mittelbar verschuldeten Sinnlosigkeit mich ermüden würde. Die vergängliche Welt reicht für Abrahams Vorsorglichkeit nicht aus, deshalb beschließt er mit ihr in die Ewigkeit auszuwandern. Sei es aber, daß das Ausgangs-, sei es, daß das Eingangstor zu eng ist, er bringt den Möbelwagen nicht durch. Die Schuld schreibt er der Schwäche seiner kommandierenden Stimme zu. Es ist die Qual seines Lebens.



Abrahams geistige Armut und die Schwerbeweglichkeit dieser Armut ist ein Vorteil, sie erleichtert ihm die Konzentration oder vielmehr, sie ist schon Konzentration, wodurch er allerdings den Vorteil verliert, der in der Anwendung der Konzentrationskraft liegt.


Abraham ist in folgender Täuschung begriffen: Die Einförmigkeit dieser Welt kann er nicht ertragen. Nun ist aber die Welt bekanntlich ungemein mannigfaltig, was jederzeit nachzuprüfen ist , indem man eine Handvoll Welt nimmt und näher ansieht. Das weiß natürlich auch Abraham. Die Klage über die Einförmigkeit der Welt ist also eigentlich eine Klage über nicht genügend tiefe Vermischung mit der Mannigfaltigkeit der Welt. Also eigentlich ein Sprungbrett in die Welt.


Neben seiner Beweisführung geht eine Bezauberung mit. Einer Beweisführung kann man in die Zauberwelt ausweichen, einer Bezauberung in die Logik, aber beide gleichzeitig erdrücken, zumal sie etwas Drittes sind, lebender Zauber oder nicht zerstörende, sondern aufbauende Zerstörung der Welt.


Er hat zu viel Geist, er fährt mit seinem Geist wie auf einem Zauberwagen über die Erde, auch dort, wo keine Wege sind. Und kann es von sich selbst nicht erfahren, daß dort keine Wege sind. Dadurch wird seine demütige Bitte um Nachfolge zur Tyrannei und sein ehrlicher Glaube, »auf dem Wege« zu sein, zum Hochmut.





Die Nichtmitteilbarkeit des Paradoxes : Bezieht sich auf Kierkegaards »Furcht und Zittern«, ebenso die nächsten fünf Aphorismen. Die weiteren zwei Aphorismen sind eine Kritik Kierkegaards. Zwei Seiten zuvor weist die Notierung der Kierkegaardschen Termini »Ritter der Unendlichkeit«, »Ritter des Glaubens« auf die Beschäftigung mit dem genannten Werk hin. Hinzugefügt sind die Worte: »Hintergedanke Abrahams Bedeutung-Die gleiche Stimme schickte ihn hin und zurück.«


AbrahamsIn der Original-Niederschrift ist deutlich zu erkennen, daß die ursprüngliche Fassung dieses Aphorisma in der ersten Person erfolgte. Es begann: »Meine geistige Armut« und so weiter.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at