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[Das vierte Oktavheft: 19. Februar 1918; Montag]


19. Februar. Von Prag zurück. Ottla in Zarch.


Es blendete uns die Mondnacht. Vögel schrien von Baum zu Baum. In den Feldern sauste es.

Wir krochen durch den Staub, ein Schlangenpaar.


Intuition und Erlebnis.

Ist »Erlebnis« das Ruhen im Absoluten, kann »Intuition« nur der Umweg über die Welt zum Absoluten sein. Alles will doch zum Ziel und Ziel ist nur eines. Der Ausgleich wäre allerdings möglich, daß die Zerlegung nur eine solche in der Zeit ist, also nur eine zwar in jedem Augenblick, tatsächlich sich aber gar nicht vollziehende Zerlegung.


Es kann ein Wissen vom Teuflischen geben, aber keinen Glauben daran, denn mehr Teuflisches, als da ist, gibt es nicht.

Die Sünde kommt immer offen und ist mit den Sinnen gleich zu fassen. Sie geht auf ihren Wurzeln und muß nicht ausgerissen werden.


Wer nur für die Zukunft sorgt, ist weniger vorsorglich, als wer nur für den Augenblick sorgt, denn er sorgt nicht einmal für den Augenblick, sondern nur für dessen Dauer.


Alle Leiden um uns müssen auch wir leiden. Christus hat für die Menschheit gelitten, aber die Menschheit muß für Christus leiden. Wir alle haben nicht einen Leib, aber ein Wachstum, und das führt uns durch alle Schmerzen, ob in dieser oder jener Form. So wie das Kind durch alle Lebensstadien bis zum Greis und zum Tod sich entwickelt (und jedes Stadium im Grunde dem früheren, im Verlangen oder in Furcht, unerreichbar scheint), ebenso entwickeln wir uns (nicht weniger tief mit der Menschheit verbunden als mit uns selbst) durch alle Leiden dieser Welt. Für Gerechtigkeit ist in diesem Zusammenhang kein Platz, aber auch nicht für Furcht vor den Leiden oder für die Auslegung des Leidens als eines Verdienstes.




Intuition und Erlebnis: Brad sagt hierzu: Hier liegt meiner Ansicht nach ein Schreibfehler Kafkas vor. Dann würde sich die Notiz auf das Gegensatzpaar» Intention-Erlebnis« beziehen, das Felix Weltsch im zweiten Band des Jahrbuchs ) »Tätiger Geist« (Herausgeber Kurt Hiller) 1918 in seinem Essay »Erlebnis und Intention«, später in seinem Buch »Gnade und Freiheit« (1920) dargestellt hat. - Kafkas kritische Bemerkung geht ja davon aus, daß hier ein Gegensatz vorliegt. Liest man »Intuition« (im Sinne Bergsons), so wäre ein Gegensatz schwer zu fassen; außerdem hat Intuition nichts mit »Zerlegung« zu tun, wohl aber trifft »Zerlegung« auf »Intention« zu.



Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at