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An Oskar Baum

[Zürau, Juni 1918]
 

Lieber Oskar, ich hätte Dir schon längst geschrieben, wenn über meine Erholung etwas besonders Gutes zu schreiben gewesen wäre. Es ist eben medizinisch, im Spaß und im Ernst, ein aussichtsloser Fall. Willst Du eine Laiendiagnose? Die körperliche Krankheit ist hier nur ein Aus-den-Ufern-Treten der geistigen Krankheit; will man sie nun wieder in die Ufer zurückdrängen, wehrt sich natürlich der Kopf, er hat ja eben in seiner Not die Lungenkrankheit ausgeworfen und nun will man sie ihm wieder aufdrängen, und zwar gerade in einem Augenblick, wo er die größte Lust hat, noch andere Krankheiten auszuwerfen. Und beim Kopf anfangen und ihn heilen, dazu gehörte die Körperkraft eines Möbelpackers, die ich mir eben aus dem obigen Grunde niemals werde verschaffen können. So bleibt es also beim Alten. Früher hatte ich immer die dumme, aber für die ersten Jahrgänge der Selbstmedizin begreifliche Meinung, dass ich mich bei einer einzelnen Gelegenheit aus diesem oder jenem zufälligen Grunde nicht ordentlich habe erholen können, jetzt weiß ich, dass ich diesen Gegengrund immer mit mir herumtrage.

Sonst ist es sehr schön hier, gar in diesem regnerisch-sonnigen Juni, immerfort streichelt die lau-duftende Luft, sie bittet, so schuldlos sie ist, um Verzeihung dafür, dass sie nicht gesund machen kann.

Max schreibt von der Geschichte, die Du vorliest, ich freue mich sehr, wieder einmal bei Dir zu sein, Ende Juni.

Grüß Frau, Kind und Schwester,

Dein Franz


Ich merke, dass ich gar zu sehr ins Trübe ausgeglitten bin, so schlimm ist es auch nun wieder nicht.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at