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An Felix Weltsch

[Zürau, Anfang Februar 1918]
 

Lieber Felix, besten Dank Dir, und Fürth natürlich auch. So ist es sehr gut. Die Sache wird gelingen, so wie sie ohne alle Mithilfe gelungen wäre; ich habe mich mit meiner Mithilfe gemeldet, habe ausdrücklich gesagt, dass ich dieser Hilfe nur wenig vertraue, werde es auch nachher wiederholen und doch wird ein wohltätiger lügenhafter Glanz auf mir bleiben, sogar dann wenn die Sache selbst mißlingt. Woher kommt diese Lüge?

dass ich Deine Vorträge nicht hören werde, ist für mich eine Entbehrung, umsomehr, als Du Dich offenbar zu dem Wichtigsten aussprechen wirst. Könntest Du mich nicht irgendwie teilnehmen lassen? Hast Du nicht z. B. für den ersten Vortrag "Literatur und Religion" irgendeinen lesbaren Entwurf oder Grundriß?

Was Du über Zürau nach der Ansichtskarte bemerkst, ist richtig. Ordnung ist hier in Tag- und Jahreszeiten, und kann man sich ihr einfügen ist es gut. Auch die Kirche hat einige Bedeutung. Letzthin war ich bei der Predigt, sie war geschäftsmäßig-einfältig, aus der besprochenen Bibelstelle Lukas 2, 41-52, wurden drei Lehren gezogen: I. die Eltern sollen ihre Kinder nicht draußen im Schnee spielen lassen, sondern in die Kirche mitnehmen (seht, die leeren Bänke!); 2. die Eltern sollen um ihre Kinder so besorgt sein, wie das heilige Paar um seines (und dabei war es doch das Jesuskind, um das man eigentlich keine Sorge haben mußte); 3. die Kinder sollen so fromm mit ihren Eltern sprechen, wie Jesus mit seinen. Das war alles, denn es war sehr kalt, aber irgendeine letzte Kraft war doch noch im Ganzen. Und gestern z. B. war Begräbnis, es handelte sich um einen armen Mann aus einem Nachbardorf, das noch ärmer als Zürau ist, aber es war sehr feierlich, wie es auf dem großen Marktplatz im Schnee nicht anders sein kann. Der Wagen kann wegen eines den halben Platz durchziehenden Grabens nicht gleich zur Kirche fahren, sondern muß einen großen Kreis um den Gänseteich fahren. Die Trauergäste, eben das ganze Nachbardorf, standen schon längst an der Kirchentür und noch immer fuhr der Wagen seinen Kreis langsam weiter, eine kleine zusammengefrorene, förmlich von einem Blasinstrument umschlungene Musikkapelle vor sich und hinter sich die Feuerwehr (auch unser Schaffer darunter) im ruhigen Ackerpferdeschritt. Und ich lag an meinem Fenster im Liegestuhl und sah das zu meiner Belehrung an, eben als Anwohner der Kirche.

Herzliche Grüße, viel Glück für die Vorträge

Franz




Fürth: Walther Fürth, Mitglied des Kreises, der sich im Café Arco traf.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at